Seltsam, wie der Tod mancher „Lebensbegleiter“ berühren kann. Vor allem, wenn Sie dich begleiteten, als du noch ein Bub‘ warst. Dieses Spiel oben durfte ich schauen, obwohl am sehr späten Abend übertragen. Was heute ja Normalität ist. Die gemeinsame Aussicht auf die Rache für Wembley hat das Herz meines strengen Vaters erweicht.
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Traurig wie ich gestern war, sagte ich zu meiner Frau: „Würde die Welt nach Art eines Uwe Seelers behandelt, es ginge ihr entschieden besser!“
Oft tritt der Schwarze Hund auf die Bühne mit einer Begleiterin. Auf den ersten Blick eine attraktive Dame von Welt, eloquent, belesen, schlagfertig. Ihren Blick hatte sie über Jahre geschult beim gerne etwas geringschätzigem Blick auf das allzu Laute, das Hektische, Gierige, Maßlose, Gerenne und Geflenne vor deiner Türe. Doch hüte Dich vor diesem Biest. Anfangs noch wirst du ihr gebannt zuhören, gescheit wie sie nun mal ist, gewachsen am eigenen, wohl als einzigartig empfundenen Schmerz, wie sie die Welt auseinandernimmt und vor deinen Augen wieder zusammensetzt. Aber irgendwann wirst du bemerken, daß die Menschen sich von dir abwenden, wenn du mit dieser Dame im Gepäck auftauchst und du schaust die Begleitung fragend an und sie sagt zu dir, feist grinsend: „Ja, mein Junge. Kennst Du mich nicht? Ich bin es, die Selbstgerechtigkeit!“
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Ich habe immer wieder mal diese Dame an die Hand genommen, den Schwarzen Hund zu Hause oder in den Nächten eingeschlossen, draußen die Welt auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt, dem nicht enden wollenden Strom meiner eigenen Worte lauschend und so vergessen genauer hinzuschauen oder zuzuhören. Wer selber redet, der begibt sich nicht in Gefahr. Kam ich dann erschöpft und angetrunken, meist beides, nach Hause, saß der Schwarze Hund am Küchentisch, knurrte mich freundlich an und dachte sich – heute sagt er mir es manchmal – : „Kerle, Kerle. Ich kann warten!“
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Ich glaube, es ist ein riesiger Irrtum anzunehmen, daß ein ordentlicher Weltekel dich von der Welt befreit. Ganz im Gegenteil. Sie rückt dir so immer näher auf die Pelle. Man darf seine Kräfte nicht überschätzen. Denn du weißt von deinem eigenen Schwarzen Hund, wenn du es zulassen willst. Aber die Schwarzen Hunde deiner Gegenüber sieht du meistens nicht. Und selbst erzeugte Einsamkeit ist ein hoher Preis. Ich lerne langsam, sehr sehr langsam, nun das Schwanzwedeln, das Knurren, Ohren aufstellen, Fiepen und Kläffen meines Schwarzen Hundes zu lesen. Man muß geduldig zuhören. Es braucht viel Zeit. Vieles der Zeit, die man liegen hat lassen. Unterwegs. Schiß halt! Und immer wieder aufpassen, wenn die eitle Dame deinen Stift führt. Obwohl man es wohl nie ganz verhindern kann.
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(Gießen, 22. Juli 2022 / Von der Depression / Eine Art Tagebuch)
Die anstrengenden Tage sind jene, an denen der Schwarze Hund nicht mehr nur wie eine Stola dir am Hals hängt, sondern – wie auch immer – sich Zugang verschafft hat zur Kommandozentrale. Dein Hirn. Dein Wille. Dein langsam erkaltendes Herz. Meist tut er das während den üblicherweise unruhigen und vergrübelten Nächten. Du erwachst, unendlich müde, gelähmt. Und dann stehst du auf und tapperst als eine Art von Marionette durch den Tag, der sich furchterregend lang und sinnlos vor dir ausbreitet. Als wäre der Schwarze Hund ein bösartiger Baggerfahrer lässt er dich die Baggerschaufel runterfahren und du schiebst alles, was zu tun, zu erledigen, dir Freude bereiten könnte, vor dir her. Es knirscht und knarzt die Schaufel über den Boden und du schaust einfach nur zu. Stundenlang. Vergisst zu essen. Trinkst. Das Radio dudelt. Google dudelt auch vor sich hin und du hoffst, dieser Sommer möge enden und eine Horde von Tiefs das Land beregnen. Und die hektisch belebten Straßen leer waschen.
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Der Schwarze Hund mag sie nicht die Sonne, die fröhlichen Menschen, die nächtliche Lautstärke, die aufgeheizten Städte. Er mag nicht die meist zu lauten Urlaubsprahlereien. Er mag Gewitter. Er mag dieses trügerische Gefühl allein auf der Welt zu sein. Der Schwarze Hund sehnt sich nach der Welt.
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Ich hatte dem Schwarzen Hund nicht zugehört. Er hatte gejault, gewinselt. Er bat mich auf tausend Arten ihm zuzuhören. Mehr als ein „Ich schaffe das schon!“ habe ich ihm nicht hingeworfen. Einen abgenagten Knochen. Hätte ich dem Schwarzen Hund schon früher zugehört, vielleicht hätte ich folgendes vernehmen können. „Hör mal zu, Alter! Es fließt nicht. Du jagst und treibst das Wasser vor dir her. Es fließt zu schnell. Tritt also über die Ufer. Und erreicht so nicht das Meer.“ Oder: „Deine Flüsse sind übervoll. Deine Deiche sind löchrig und von den Maulwürfen des Zweifels und des ständigen Haderns zerfressen. Irgendwann wird der Damm brechen. Denn der nächste Grauburgunder wird die Löcher nicht stopfen.“
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Ich glaube der Schwarze Hund ist kein Monstrum. Ich glaube der Schwarze Hund kann zu einem freundlichen Gefährten mutieren. Das wird allerdings einiges an Arbeit erfordern. Welche Werkzeuge für diese Baustelle zu erstehen sind: die nächste Zeit wird es weisen. Müssen.
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(Gießen, 21. Juli 2022 / Von der Depression / Eine Art Tagebuch)
Der schwarze Hund war ein Leben lang mein Begleiter. Wahrscheinlich habe ich in an jenem kalten Februartag im Jahre 1973 geschenkt bekommen. Das ist kein billiger Sarkasmus. Oder ein Rumgespiele mit dem eigenen Schmerz. Es ist tatsächlich ein Geschenk, so wie jede Aufgabe, ob man sie nun bewältigt werden kann oder nicht, ein Geschenk ist. Was und ob man begreift liegt aber in Sachen Schwarzer Hund nicht in der eigenen Hand. Dies erfahre ich in den letzten Tagen und Wochen. Mit Macht. Und Wucht.
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Ich wußte stets, daß der schwarze Hund ein gefährliches Biest ist. Lebensbedrohlich. Doch ich bildete mir ein, die Leine um seinen Hals hielte ich straff in der Hand. Ein kurzer Ruck, ein „Platz, Du Sau!“ würde mich verschonen vor seiner knurrenden Wut. Manchmal nahm ich den Schwarzen Hund mit zur Arbeit, band ihn auf der Probebühne an den Regietisch oder an die Heizung oder im Anschluß an die Aufführung saß er friedlich unter dem Kneipentisch. Ich habe ihn meinen Kollegen vorgestellt, jedoch seine wahre Herkunft und seine Gefährlichkeit gerne verschwiegen. Natürlich habe ich auch mit diesem Tag im Februar vor nun bald fünfzig Jahren kokettiert. Sehet, was ein Mensch – seien wir genau – ein MANN so alles überleben kann. Und daraus etwas destilliert. Für die Arbeit. Für das Private eher nicht. Da halfen die Destillate. Vermeintlich.
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Manchmal ist er verspielt der schwarze Hund. Streicht Dir ums Bein, grinst und fordert Dankbarkeit für das letzte Gedicht oder das letzte Lied – „Ohne mich wärst Du genau so ein Langweiler wie die anderen, mein Freund!“ – und dann bestellt er sich ein Bier. Unter den Tisch. Und Dir fünf. Zahlen mußt natürlich Du. Machst Du gerne. Eine lange, lange Zeit lang. Eines Tages ziehst Du den Geldbeutel aus deiner Tasche und der ist leer. Ebenso wie der Platz unter dem Kneipentisch. Der schwarze Hund hat sich losgerissen. Die Leine baumelt vor sich hin. Verlassen. Dann juckt es Dir am Hals. Du schwitzt. Bekommst kaum mehr Luft. Und der schwarze Hund hat sich um Deinen Nacken gelegt wie eine Stola. Und langsam, ganz langsam beginnt er zuzudrücken. Aber er trägt an dieser Situation keine Schuld. Er ist lediglich da. Erinnere Dich.
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An jenem Februartag begann es mittags heftig zu schneien. Als wolle die Welt etwas verschwinden lassen. Morgens noch war es für die Jahreszeit viel zu warm. Der Schneefall – wir liefen durch den Wald, wir, also die anderen Mitbesitzer des schwarzen Hundes – und die Stille war greifbar, heilsam und brach trotzdem die Herzen. Jahrzehnte noch schaute ich aus den Fenstern meiner Sorgen und sah es schneien. Oder ich wünschte es mir. Gnädiger Schnee, bedecke die Felder und laß diesen Moment der Ruhe wieder einkehren, bitte. Die Spuren, welche der schwarze Hund im Schnee hinterlassen hatte, Tag für Tag und vor allem Nacht für Nacht, ich übersah sie. Wollte ich das? Der schwarze Hund hat mich nie angefallen. Inzwischen habe ich begriffen, daß ich ihn schon viel früher hätte kraulen müssen. Hinter seinen traurigen Ohren. Doch ich hatte Angst. Nicht vor dem schwarzen Hund. Vor mir selbst. Sogar ein geduldiger schwarzer Hund wird irgendwann sauer, wenn man seine Existenz stets leugnet.
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(Gießen, 20. Juli 2022 / Von der Depression / Eine Art Tagebuch)
Vor drei Jahren weilte ich eine Zeitlang in Hoyerswerda. Ich sammelte dort Material und führte Gespräche für mein Gundermann – Projekt ‚Tankstelle der Verlierer‘. Auf den Tag genau heute vor eben drei Jahren nahm ich teil an einer Exkursion durch den Tagebau Welzow – Süd. Dort hatte Gerhard „Gundi“ Gundermann seine letzten Wochen auf dem Bagger absolviert und später Andreas Dresen Teile des Filmes ‚Gundermann‘ gedreht. Ich hatte damals die Genossen Hoy und Woy davon berichten lassen.
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Denke ich daran zurück, habe ich das Gefühl das war nicht nur eine Reise auf den Mond oder in eine untergehende Welt, nein, das war der Besuch einer anderen Galaxie in einer anderen Zeitzone. Nun vielleicht müssen wir wieder dorthin zurückkehren, wenn unsere Ärsche kalt und kälter werden und letztlich auf Grundeis kratzen. Die Kumpel wird es freuen, daß man sie nun wieder benötigt. Den Genossen Covidel Sarsowitsch auch. Je kälter, desto mehr Verbreitung. Freundschaft! Und Gundi winkt runter von seiner Wolke. Was gestern falsch, wird morgen richtig! Ätsch! Und die Engel über dem Revier müssen dann auch wieder richtig ran. Siehe ganz unten.
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Einschub in Sachen Wolke und Engel: Jener hätte heute Geburtstag.
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Wie die „Welt“ sich in den letzten drei Jahren schüttelte, rüttelte, verbog, belog, sich selbst betrog und was auch immer – ich weiß, das tut und tat sie schon immer, aber die Verdichtung dieser Tage ist schon immens – nimmt mir in stetig kürzer werdenden Abständen den Atem. Man kommt nicht mehr hinterher als alter Sack. Da hilft nur eines, sich an den Straßenrand setzen. Um zu warten. Und zu schweigen.
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Eine meiner liebsten philosophischen Petitessen: Als Indien noch Bestandteil des United Kingdom war. Ein Sadhu, ein heiliger Mann, sitzt am Straßenrand. Vorbei fährt ein englischer Offizier in seinem nagelneuen Auto. Das heißt sein Chauffeur kutschiert den Mann. Der Offizier lässt ihn halten. Bietet dem Sadhu an, ihn ein Stück weit mitzunehmen. Dieser willigt ein, nimmt Platz im Fond. Man fährt los. Nach wenigen Minuten gestikuliert der Sadhu, bittet zu halten und ihn aussteigen zu lassen. Er setzt sich an den Straßenrand. Im Lotussitz. Der Offizier fragt ihn, was er da tue und warum. Der heilige Mann antwortet: „Das ging mir alles viel zu schnell. Ich warte hier bis meine Seele nachgekommen ist! Gute Reise!“
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In diesem Sinne: wenn meine Seele sich wieder in Reichweite befindet … Bis denne! Darauf noch einen letzten Kumpeltod!
Früher spielte ich mit meinem Bruder sehr oft Quartett. Autos. Lastwagen. Rennwagen. Ja, auch Panzer und Raketen waren dabei. Tiere und anderer Kuschelkram eher nicht. Nein, Jungszeug halt. Höher, schneller und so weiter. Weit vor der Postmoderne. Das Prinzip war einfach das MEHR. So konnte man zum Beispiel mit den vier Türen eines Ford 17 M (Mittelklassewagen!) locker einen Jaguar E – Typ (Spitzenklasse!) einkassieren. Oder mit dem Kofferaumvolumen eines Ford Stationwaggon die zwölf Zylinder (Hubraum!) eines Rolls Royce Silver Shadow in die Schranken verweisen. Natürlich gab es Diskussionen – manchmal handgreiflich – bezüglich des Gerechtigkeitsfaktors eines solchen Spieles. Zwischen Brüdern eben. Mein liebstes Quartett damals aber war ein Schiffequartett. Noch heute klingelt der Begriff Bruttoregistertonnen / Klammer auf / Verdrängung / Klammer zu / in meinen sich erinnernden Ohren. Dachte heute, alle Supertanker dieser Welt schlüge in einem noch zu erfindenden Quartett diese Karte: deutsche Urlauber im Jahre 2022. Oder doch die Karte: endlich wieder Festivals? Lassen wir uns überraschen!
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Ach, um aus aktuellem Anlaß, falls man nicht eine der oben erwähnten Karten gezogen hat, auf das Quartett mit den Panzern zurückzukommen. Der legendäre T 34 (siehe unten) durfte natürlich nicht mitmachen im Spielblatt der Firma Ravensburger. Sonst hätte man damals mit dem Einwurf: „Der T 34 hat Auschwitz befreit!“ alle anderen Karten einkassieren können. Ganz vorne dabei aber war der amerikanische Kampfhubschrauber Bell UH 1, welcher der schnellste aller Rotorblättler war, in Francis Ford Coppolas „Apokalypse now“ gar mit Wagner UND den DOORS harmonierte und ab und zu Napalm auf die Reisfelder Nordvietnams niederregnen ließ.
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Jede Zeit und Generation huldigt ihren eigenen Verdrängungen. Oder wie ich in letzter Zeit öfters von jüngeren Menschen höre: „Das feier ich jetzt ab!“ Was immer dies bedeuten mag.
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Zurück zum obigen Bild. Manchmal küßt mich die Naivität des Moralisten. Und ich wünsche mir die Verdrängung eines Kaikis würde zum Maßstab erklärt in Sachen Bruttoregistertonnen. Darauf einen Dalaras. Yamas!
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Sowetsk / Kaliningrad Oblast / Denkmal zu Ehren des legendären T 34 / 31. August 2017
Schrieb ich am Internationalen Tag der Frau, als ich wieder begann zu trinken, auf einen Bierdeckel. In der alten Heimat. Die Ärzte da unten machten meiner linken Hand Hoffnung auf eine Rückkehr an die Saiten. Davon später genaueres.
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Werde das Gereime oben nochmal überarbeiten. Steckt mehr drin. Aber so aus der Hüfte erbärmlich in die Welt geschossen, das mag ich auch.
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Lese eben ein neueres Buch von Frank Schulz. Anmut und Feigheit. Allein der Titel. Eine Freude. Und der Rest auch.
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Was ich gerne vergaß: Stand ich mal oben und begriff, wo ich eigentlich herkam und wie lange und mühsam der Aufstieg gewesen war? Eigentlich nie. Aber ich frage dann halt meine alten Knie, was die sagen, geht es wieder hinab. Steiler und schneller runter denn hoch. Nun der Rest der Rauchpause.
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RAUCHPAUSE / Teil 16
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Ich fand diesen Song immer bescheuert. Und den Roger Daltrey mit seiner blöden Fransenlederjacke und der nackten Brust. Aber Rache muß sein. Du kannst nicht einfach alles verraten, was eine Freundschaft ausmacht. Du kannst nicht alles, was war mit dem Etikett Vergangenheit versehen und in einem Herlitz – Ordner abheften. Und hoffen, daß dieser stillhält. Und schweigt. Nee.
Erst ging es ganz langsam. Sehr langsam. Heilige Nebel stiegen auf. Im Duett. Und dann ging es auf einmal ganz schnell. Hansis erschreckender Hustenanfall, mein COPD, eine sich öffnende Haustür und der energische Schlag einer geschulten Krankenschwester mit einer eingeschweißten Gurke auf meinen Hinterkopf. Direkt auf meine wunderbare Beule. Das Souvenir der letzten Nacht. Doppelschlag nennt man das wohl.
Innerhalb von weniger als 12 Stunden erwachte ich zum zweiten Mal aus dem Koma. Diesmal saß ich auf einem Küchenstuhl in der Wohnung meines alten Gefährten Hansi, in Handschellen, neben mir zwei Wachtmeister und am Küchentisch saß Gitti, die weinte. Die Tür zum Küchenbalkon war offen. Der 1.Oktober war ein erstaunlich warmer Tag, als wolle Gott den Giftkranken noch so eine Art Gnadenfrist gewähren. Draußen auf dem Balkon stand Hansi, versuchte mit dem Lasso einen Blumentopf mit Basilikum zu fangen und in seinem Mundwinkel hing eine Reval. Kalt, nicht angezündet. Er sang vor sich hin: „I´m free “ Den ganzen Song. Konsequent, wie er schon immer war.
(Hustenanfall) COPD. (drückt die letzte aus) Cold on parental device. Auf deutsch: Kalt auf elterliche Anordnung. (lacht) Ich glaub, ich sollte wieder rein. Immerhin hat der Sack heute Geburtstag. Und Gitti ist schwanger. Fast wie einer Soap. Wie sagte Dylan einstens: „Peace, love and happiness is one thing. But you got to have forgiveness too.”
Ok. 1 Jahr auf Bewährung wegen Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung, Nötigung und – das fand ich jetzt etwas übertrieben – Körperverletzung. Nun habe ich eine Therapeutin und einen Bewährungshelfer am Hals. Fleischgewordene lange Unterhosen. Aber ich habe mich ganz gut gehalten. Noch kein einziges Mal habe ich gesagt, was ich nicht sagen darf. Noch nicht mal heute abend. (stumm artikulierend: Zigarette, Rauch, Feuerzeug etc.)
Heute Nachmittag war ich in meinem Büdchen. Stoff kaufen. Das geht ja noch. Bei meiner guten alten „Dealerin“. Ehemalige Hardcorekonsumentin. Kürzlich mußte sie für längere Zeit ins Krankenhaus. Und darf es nicht mehr tun. Eigentlich. „Nur noch 3 bis 3 und eine halbe am Tag genehmige ich mir.“ Sagte sie. Ich habe ihr eine geschenkt. Menthol. In memoriam Helmut Schmidt. So eine Art kleines Souvenir. Und wegen früher. “Once upon a time, there was a tavern / Where we used to raise a glass or two. / Remember how we laughed away the hours / Think of all the great things we would do? Those were the days, my friend.” (lacht, tanzt)“See me feel me touch me heal me.”
Sie hat sich übrigens gefreut. Über die Mentholzigarette. Wirklich.
So. Jetzt geh ich rein. Einen trinken. Ist noch nicht verboten. Und atmen. Frische Luft. „Freiheit.“ (grüßt in der Art der alten FDJ´ler und geht ab, hustend)
Heute bleibt die Küche kalt, wir gehen in den Wienerwald. Einst klang dies in den Ohren vor allem der Kinder wie eine Verheißung. Der monatliche Höhepunkt auf dem familiären Speiseplan. Papa holt ein / zwei Hähnchen aus Friedrich Jahns Gockelbude, Mama macht Fritten im Backofen. Und Mayonnaise ohne Ende aus der Tube. Und dann wird genagt bis das Zitronentuch zum Einsatz kommt und die Fettfinger wunderbar chemisch und frisch riechen. Es gibt solche und solche Nager. Die einen lassen was am Knochen hängen, die anderen nagen die kleinsten Fitzelchen bis auf die Knochenhaut runter und werden trotzdem nicht satt. Extremisten lassen sogar die Knochen krachen und saugen sie aus. So verfahren wir dieser Tage mit Mutter Erde. Wohlfühlmassaker allenthalben. Lassen wir was über.
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RAUCHPAUSE / Teil 15
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Meine Haustürklingel meldete sich, Sturmklingeln. Ich hatte keine 4 Stunden geschlafen. Ich öffnete. Vor mir ein Mann in Cordjacke. Er hält mir seinen Ausweis unter die Nase. Gesundheitsamt oder Ordnungsamt. Er übergibt mir ein Schreiben: „Wegen Verstoßes gegen das NRSG, Abschnitt 1, Paragraph 6 und weil sie nicht nur Gast, sondern Mitinhaber und als Exempel. Kurz und knapp: 2500€ Bußgeld.“ „Wie? Was? Wo? Und wann?“ „Heute nacht gegen 1Uhr27. Im „Wind und Wasser“. Finden Sie das eigentlich nicht einen bescheuerten Namen für eine Kneipe? Man hat sie gesehen, wie sie es getan haben. Sogar mit einer Rothhändle. Ohne Filter.“ „Zur Feier des Tages.“ antworte ich. „Haben Sie da noch eine übrig?“, fragt er mich. Also sitzen wir da zusammen in meiner Küche und zwei Rothhändle brennen. Er ist sehr freundlich: „Wissen Sie, ich tue nur meine Pflicht.“ „Kein Problem. Eine Frage nur, wer hat mich gesehen?“ „Eine Frau hat uns angerufen.“ „Danke, schon gut, will ich gar nicht wissen.“ Mein Schädel bummert und schreit nach Erlösung. „Ich überweise das heute noch. Kein Problem. Hier, die Packung Rothhändle schenke ich ihnen. Auf Wiedersehen.“
Das Lasso. Total bescheuert. Hansi und ich damals in Texas. Dieser uralte rote Toyota Corolla, den wir überführten vom Osten in den glorreichen Westen war zusammengebrochen und wir hingen in irgendeinem traurigen Kaff fest. Corpus Christi. Hosianna. Kreuzigt ihn. Hansi hatte die vollkommen wahnwitzige Idee ein Lasso zu kaufen, die Zeit zu nutzen und Cowboy zu trainieren. Also stehen wir zwei Tage in der Wüste, während die Mechaniker auf die Ersatzteile aus Yokohama warten und versuchen mit dem Lasso Gebüsche und Zaunpfähle einzufangen. Später haben wir das als kleines Ritual hier in der Heimat eingeführt. Einen leeren Bierkasten auf einen Holzpflock oder Tisch gestellt. Und wer als erster den Bierkasten fängt, gewinnt eine Packung Reval. Bißchen albern, gebe ich zu. Aber kreativer als Everquest oder Warcraft.
Nun gut, vor einiger Zeit im Rahmen von irgendeiner ominösen Basis – Fengshuisierung von Hansis und Gittis Wohnburg hat mir Hansi das Ding vermacht: „Paß Du bitte auf „Holden Caulfield“ auf.“ Holden Caulfield. So hieß das Lasso. Hansi hatte ja die Angewohnheit alle Gegenstände benennen zu müssen. Holden Caulfield. Der Fänger im Roggen. Hansi reichte mir das Lasso, sagte: “Nimm Du das bitte. Ich kann mit diesen seltsamen Energien nicht mehr umgehen. Verstehst Du? Was Erinnerung so auslöst. Körperlich. Und Gitti meint auch, man muß sich von Dingen trennen können. Zum Beispiel von der ewigen Pubertät, die gerade uns Männer öfters krankmacht und so. Verstehst Du?“ „Schon gut.“
Was jetzt kommt, darf ich gar nicht erzählen. Zu lächerlich. Obwohl so lächerlich, wie hier draußen stehen, frieren und klagen ist es dann auch nicht. Meine Fresse. Sehen alle so lächerlich aus, denen man was weggenommen hat? Der gute alte Verlust. Täusch ich mich, oder wird es gerade was wärmer. Selbstgratifikation. Ok. Das noch. Auf Bewährung. (zündet sich eine letzte an)
Ein bißchen komisch kam ich mir schon vor, als ich morgens um 9 mit einem Lasso über der Schulter und einer Stange Reval unter dem Arm durch die Gassen einer deutschen Kleinstadt stolperte. Bevor Hansi überhaupt realisiert hatte, was hier abgeht, hatte ich ihn mit dem dreifachen Nevadaloop zu Fall gebracht, fachgerecht verschnürt – Yeeha! – und an seinen Kühlschrank, den guten alten Gevatter Bosch gefesselt. „Holden Caulfield“ gehorchte mir wie in den besten Tagen. Dann zwei Reval angezündet und die eine, die seine, in seinen Mund gesteckt. „Und jetzt inhalier, Judas.“ Dann ging ich zur Stereoanlage und legte die CD mit seinem Lieblingssong ein – „I´m free“ von THE WHO – und drückte die Repeattaste:
I’m free. I’m free.
And freedom tastes of reality.
I’m free. I’m free.
And I`waiting for you to follow me.
If I told you what it takes to reach the highest high
You’d laugh and say, „Nothing’s that simple.“
But you’ve been told many times before, Messiahs pointed to the door