„Mit Freude. Der Budnikowski scharrt auch schon mit den Löffeln. Wollen Sie sich noch verabschieden?“
„Ja. Denke das tut Not nach all den Turbulenzen dieses Jahres!“
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Der Anfang
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Der Anfang kommt, wenn du wieder allein bist Die Häuser sind dann dunkler als Höhlen Und die Straße ist länger als das Leben Und die Stadt ist größer als die Welt
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Der Anfang ist eine Rose auf dem Pflaster Der Anfang ist der Nebel überm Asphalt Der Anfang der Liebe ist das Wort ich Der Anfang der Liebe ist Angst
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Der Anfang ist ein rostiges Messer Der Anfang ist eine offene Wunde Der Anfang ist eine Wölfin und wenn du kein Wolf bist Dann ist die Stunde des Anfangs schon die Stunde des Endes
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Der Anfang kommt, wenn du wieder allein bist Deine Angst ist dein zweiter Schatten Deine Liebe ist dein zweites Leben Und die Nacht ist plötzlich weiter als die Welt
„Manchmal kletterst du morgens aus dem Bett und denkst, ich schaffe es nicht, aber du lachst innerlich – denkst daran, wie oft du dich so gefühlt hast.“ (Charles Bukowski)
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Auch wenn der Frühling kein Wert an sich ist, sondern eine Erscheinung, er tut gut. Das Licht. Doch schmähen wir nicht den Schatten. Der erzählt letztlich von der Sonne. Nur er. Sein Gegenentwurf ist schmerzlicher Sonnenbrand. Mit Folgen.
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was würde ich tun ohne diese Welt ohne Gesicht ohne Fragen
wo Sein nur einen Augenblick dauert wo jeder Augenblick
ins Leere fließt und ins Vergessen gewesen zu sein
ohne diese Welle wo am Ende
Körper und Schatten zusammen verschlungen werden
was würde ich tun ohne diese Stille Schlund der Seufzer
die wütend nach Hilfe nach Liebe lechzen
ohne diesen Himmel der sich erhebt
über dem Staub seines Ballasts
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was würde ich tun ich würde wie gestern wie heute tun
durch mein Bullauge schauend ob ich nicht allein bin
beim Irren und Schweifen fern von allem Leben
in einem Puppenraum
ohne Stimme inmitten der Stimmen
die mit mir eingesperrt
(Samuel Beckett / aus: Sechs Gedichte 1947 – 1949)
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Vor ein paar Wochen sah ich mein Traumschiff. Noch angekettet. Aber freundlich vor sich hin und her schaukelnd.
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„Leben heißt: dunkler Gewalten Spuk bekämpfen in sich. Dichten: Gerichtstag halten über das eigene Ich“. (Heinrich Ibsen)
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Das Leben Luv oder Lee? Wir entscheiden uns für den Flautenschieber.
Stolperte unlängst über ein Zitat von William Blake. Sinngemäß schrieb er, ein Narr müsse konsequent ein Narr bleiben. Dies sei für ihn die einzige Möglichkeit zur Weisheit zu gelangen. Wenn dem so ist, habe ich in letzter Zeit ordentlich Bonuspunkte einsammeln können. Die einen nennen es sich zum Affen machen. Andere sprechen von Liebe. Oder mit Keith Richards: „At least you learned how to love a fool!“
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Schlaflose Nacht. Draußen stürmt es sich ein. Der Regen klatscht gegen die Fenster. Der volle Mond nicht zu sehen. Aber er ist spürbar da. Außerdem macht mein operierter Arm Sperenzien. Gute Gelegenheit die Stadt der letzten wirren und wilden Monate innerlich zu verlassen. So eine Art Schmerztransfer. Das ist in Ordnung. Wo der Schmerz akzeptiert wird, hat das Leiden keine Chance.
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Denkpause. Mal schauen, wo danach gelandet wird.
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Der Zeigefinger erhebt sich
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Wahre Liebe vergibt
Selbstliebe nie
Schrieb er in sein Tagebuch
Hundertmal
So wie man es ihm einst in der Volksschule
Beigebracht hatte
Fünfzehn Jahre nach dem Großen Krieg
Die fünf Finger des Vaters noch
Glühend im Gesicht
Er hat ihm vergeben
Lange schon
Nun brach er auf
die Liebe wiederzufinden
Jene die er
In den letzten Jahren besungen hatte
Diese eine besondere
Liebe
Das war er ihr schuldig
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Du atomisierst mich
Das hatte er noch vergessen ihr zu sagen
Damals
Er kniete auf seinem abgestürzten fliegenden Teppich
Gestern schrieb mir ein geneigter und auch zugeneigter Leser meiner Verlautbarungen hier eine Mail. (Danke für das lapidare: „Tja!“) Er schrieb von den rückkehrenden Kranichen dieser Tage – ich hatte sie vorgestern auch über mir – und wie er beobachtete, daß sogar Störche sich ein Nest suchen. Dann schreibt er: „Ankunft nach langer Reise, ein schöner stiller Moment. Allerdings auch gedacht: zu früh?“
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Zu früh? Ja. Ist so eine Sache mit den Entscheidungen. Es wird gefordert allenthalben – oft ist man selber Mitglied in diesem gelegentlich schrillen Chor – die schnelle und endgültige und vor allem wirkmächtige Entscheidung. „Du weißt auch nicht, was Du willst!“ Ach Ungeduld! Dinge auszuhalten, ihnen keine Gewalt anzutun – meist sind die „Dinge“ ja Menschen – nicht einfach, manchmal jedoch vonnöten bis dringend geboten.
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Gestern noch gelesen: man möge nicht immer die selben Alleen runterlatschen, will man sich einer vertrackten Situation nähern. Aber auch: beim Blick in die Sterne möge man aufpassen, daß dir der Kopf im Nacken nicht von den Schultern rollt.
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Dulce est periculum (Rendsburg revisited)
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Süß ist die Gefahr
Dulce est periculum
Auf nüchternen Magen kalten Wein
Ich trete meine Ängste stumm
Schmerz verspricht Inspiration
Der Suff erlöst vom Leiden
Der Tod macht Sonderangebote
Der Wind schüttelt die Weiden
Ein Strick geknüpft baumelt hinab
Gesundheit wie vulgär
Der Tunnel ist mein Tanzlokal
Ich fühl‘ mich leicht wenn schwer
Ein Bummelzug die Sonne sank
Wir träumten aus dem Fenster
In dieser Stunde neben ihr
Da schwiegen die Gespenster
In Riesenbögen führt die Brücke
Um unser Glück herum
Ich ritz‘ den Tag in meine Haut
Wir waren so schön stumm
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(Im IC nach Karlsruhe / 24.1.22)
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Kleines PS und Einschub: Saß heute – am 17.2. – in der Notaufnahme des Evangelischen Krankenhaus in Gießen, da ich morgen nochmals unters Messer muß. Während ich vor mich hin wartete, lief im Fernsehapparat vor Ort eine Doku über oben bedichtete Brücke in Rendsburg. Nee, oder? Jetzt ist aber mal gut mit diesen ständigen Querverweisen, bester Freund Kismet! GELLE!
Ein, zwei, drei Tage will ich noch als „einarmiger Bandit“ das Reimlaub des letzten Winters zusammenfegen, in den Vollmond glotzen und den Herzenskomantsche „Kleiner Wolf“ sein Liebesleid jaulen lassen und dann iss auch mal gut. Freue mich schon auf die Wut. Nein natürlich nicht. Wir sind ja alle so vernünftig. Ähem, also … Gibt es da draußen noch Welt?
Heute schenkt man sich Blumen. Oder Worte. Oder schweigt. Oder redet wie ein Wasserfall über die vielfältigen Pfade, die einen dorthin geführt haben, wo man momentan steht, den Blick zurück. Vielleicht sogar nach vorne. Oder die Augen einfach schließen. Nicht hetzen jedenfalls. Lieder helfen: