…..

…..
im schatten
wiederkäuen
ein frühes frühstück
unverdautes gärt
durch sieben mägen
einen morgen treiben in den tag
der nächste kommt bestimmt
glück der wiederholung
…..
Texte. Vergessen, wiedergefunden, wiedergekäut. Neues aber auch. Autor: Christian Lugerth
…..
…..
im schatten
wiederkäuen
ein frühes frühstück
unverdautes gärt
durch sieben mägen
einen morgen treiben in den tag
der nächste kommt bestimmt
glück der wiederholung
…..
…..
…..
vor dem nächtlichen balkon
unserer ersten reise
lagen schafe dösend in dürrem gras
ich sprach sie an
sie gaben antwort
schliefen weiter dann
wie du
die du mich geweckt hattest
auf dem nächtlichen balkon
zweimal
jan ullrich fuhr ins gelbe trikot
am nächsten tag
und mir gehörte die welt
sekunden
*
(Thassos / 1997)
…..
…..
…..
wir hatten den regen vergessen
wir hatten vergessen
den regen
und saßen auf dem bürgersteigen
uns zu zeigen
aber wir hatten
vergessen
den regen
und saßen mit traurigen fressen
die wir gerne pflegen im regen
welcher segen
den wir vergaßen
…..
…..
…..
Ich hatte unten geschrieben, daß ich meine Daumen für die 3 Löwen und besonders für Harry Kane gedrückt habe. Aber man sollte sich als Regisseur nicht über den Dichter stellen und auch als Fußballtrainer nicht über die Psychologie der Pöhlerei, die es zwar nicht wirklich gibt, aber da hatte Beckenbauer schon recht, als er die Buben mit den berühmten Worten, sie mögen bitte den Rasen betreten und dann halt kicken und sonst nix, an die Arbeit schickte. Zuviel des Denkens ist gerne Ausdruck tiefsitzender Ängste. Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser. Aber bring das mal einem Chef bei, der meint eben auf dem Rücken des Geiers Erfolg übers Land zu segeln.
*
Zum Thema. Bella Italia. Ich habe seit neuestem einen italienischen „Schwager“. Wir lernten uns kennen nach dem ersten Gruppenspiel der blauen Truppe und ich sagte zu ihm, radebrechend meine 50 Worte seiner Sprache zusammenstoppelnd: „Ihr macht das!“ Hat mich gefreut, daß ich nicht daneben lag. Trotz Sir Harry ohne Meghan! Italien hat die Pandemie offensichtlich sehr solidarisch bekämpft. Ohne Querdenker, BILD und Öffnungsdiskussionsorgien. (Grazie, Angela!) So haben sie gekickt – sagt man gecalciot? – und gesungen. Der Zustand von La Mann*innenschaft spiegelt das in Egoismen vor sich hinsuppende Germanien. Bockige Bären und Scheinregenbögen, wo man hinschaut. Man weiß, sie existieren, aber wo laufen sie denn? Klinsmän erfand den Diver bei den Hotspurs, Jogi hat das Abtauchen nach den Turnieren perfektioniert und jetzt ist der Bierhoff weg. Hoffentlich für immer. (Vergessen. Der iss ja in Katar. Kohle abholen!)
*
Von Konstanz bis an die Riviera ist es nicht weit. Ende der 60er war es das aber schon. Ein Renault R 4, bis übers und unters Dach bepackt mit Campingausrüstung, drei Geschwistern und am Steuer der Herr Papa, der das hellblaue Gefährt im ersten Gang über – wahlweise – Gotthard oder San Bernadino prügelte. Er sammelte Alpenpässe. Unter uns fingen sie damals an die Tunnels in Richtung Gelati Motta zu graben. Und eine gigantische Brücke überspannte Genova. Neu damals, noch nicht ahnend ihren Tod.
*
Gelati Motta. Eine richtige Bolognese. Die erste Pizza. Und – inzwischen leider, Signore Fascista Ferrero – auch das erste Panini mit Nutella. Geschmacksexplosionen. Dazu sang die Reibeisenstimme vom ewig blauen Himmel über uns. An meinem ersten Meerwasser verschluckte ich mich in Marina di Andorra nahe Imperia. Der Bub vom Bodensee ekelte sich erstmal vor der Brühe. Aber dann stellte er fest, daß man viel länger und ohne Anstrengung den toten Mann machen konnte. Die Lira damals hatte sehr viele Nullen. Ein Gelati Motta kostete irgendwas mit tausend. Staunen.
*
Pane e coperto. Das Eintrittsgeld in die Taverna quasi. In den Siebzigern Pfennigbeträge. Später fast der Gegenwert einer Pizza Margherita. In den Jahren rund ums Abitur hatte ich mit ein paar Freunden Firenze entdeckt als Sehnsuchtsziel. Nachtzug ab Zürich. Zum Frühstück vor Ort. Später es den Freundinnen gezeigt. (Leider nicht mehr abrufbar die Euphorie des Buben.) Unser Ritual. La Prima: Cultura. Also Uffizien, eine Kirche, die Boboligärten und und. Secondo: eine Bar. Vino und Pizzastück und wichtig damals: nur eine Bar mit Flipperautomat kam in Betracht. Dolce: auf einer Bank in einem Park sitzen, Birra Peroni und jeder mußte seine Eindrücke in einem – mindestens – Vierzeiler festhalten. Die Hefte habe ich immer noch.
*
Oder kurz vor Mitternacht in unserer Stammkneipe in Konstanz, sagte einer, er würde gerne in Milano frühstücken. Gesagt, getan. Den Käfer bepackt mit drei Zahnbürsten, Tabak und Schlafsack und ab. Ich erinnere mich, daß einer von uns die Musik beisteuerte. Eine Kassette. Die erste Platte von Tom Petty. Wir landeten dann auf der Isola di Elba. Und fuhren nach ein paar Nächten am Strand – es war im Herbst und dann schon etwas ungemütlicher – wieder zurück, im Kofferraum einen Sack voller Maroni, Eßkastanien selbstgepflückt. Die Zöllner in Chiasso guckten etwas irritiert und einer von uns mußte sein Messer abgeben. Italienische Grenzwächter hatten damals wenig Humor, wenn sie es mit Zottelhaarigen zu tun hatten.
*
Eine Fenchelknolle. In Scheiben geschnitten. Olivenöl. Fertig. Damals pures Entsetzen, so 1981 bei Cagliari. (Ich weiß, das sind keine Italiener und jeder Sarde verwehrt sich auch dagegen!) Heute Leibspeise aus eigener Parzelle. Dann – wir trampten, Frau am Straßenrand, Mann rauchend im Gebüsch, hat stets funktioniert – lud uns eine Familie ein zu einem Fest (Geburtstag, Hochzeit, Heiliger – vergessen!) und als Ehrengast mußte ich den Wurm, mit dem sie dort einen besonderen Käse veredelten, verzehren. Ritual. Die Gastfreundschaft beinhaltet auch Pflichten. Mein erster Grappa. Ich glaube, ich wurde in den nächsten achtundvierzig Stunden nicht mehr geküßt.
*
Es wäre mal wieder an der Zeit nach Italien zu reisen. Sie wälzen sich nicht mehr auf dem Rasen rum und jammern. Das macht inzwischen der Tedesco.
…..
…..
…..
Nein, das habe ich nicht erfunden, sondern gefunden, also gelesen in einer der beiden Gießener Lokalgazetten. Man hilft den coronagebeutelten Lesermännern und Leserinnenfrauen ja gerne, wo man kann, über die analoge Lebensstraße. Es gibt also eine Verbitterungsstörung, die unser aller Leben in einem der ärmsten Länder Europas, ach der ganzen Welt, zu bedrohen scheint. Gut, Mister Southgate, der die Drei Löwen fast schon jogilöwig in den posttraumatischen Elfmeteruntergang coachte, also in der einhundertzwanzigsten Minute eine paar Jungsche einwechselte, nur für den einen Schuß, der ihn ein Leben lang verfolgt hat, da sehe ich eine echte Verbitterungsstörung anrauschen. (Natürlich habe ich das wieder verpennt auf dem gemütlichen Sofa!) Aber was ist mit den armen Menschen, die letztes Jahr bis zu zehnmal zum Dm rennen mußten, mit Masken im Gesicht, um ein paar Rollen Clopapier zu ergattern? Oder den Kreuzgeimpften, die eigentlich von Anfang an Biontech eingefordert hatten? Und wir alle, denen seit Monaten die bösen, bösen Politiker die Reisekataloge aus den Händen schlugen? Und die ganzen ausgefallenen Revolutionen, von denen wir Rentner in saumseliger Erinnerungsmanie vor uns hin summen? Und Putin ohne den Großen Väterländischen Sieg? (Das Foto oben zeigt ein Plakat mit dem die hiesige DKP – ja so was gibt es noch – im letzten Kommunalwahlkampf plakatiert hat! Ernsthaft! Und jetzt sind die auch noch rausgestrecktes Zünglein an der Waage! Der Verbitterung Ade sagen quasi!) Und die ganzen Mimen, die anders besetzt wurden, als erträumt und erwartet, wo sie doch eigentlich und so weiter? Und plötzlich regnet es im Juli statt vierzig Grad? Und dann hat auch noch Uli Hoeneß einfach nur recht? Hallo? Geht‘s noch? Und vor allem, was ist mit Robert Habeck, der armen Socke, der sich von einer hochtönenden Karrieredame über den Löffel balbieren ließ und jetzt zusehen muß, wie seine Partei auf Normalmaß zurückgestutzt wird? Und Eintracht Frankfurt ohne Championsleague? Ach wären wir nie aus den Schößen unserer Mütter, die für uns den Schmerz der Geburt durch das Wochenbett trugen, gekrochen. Da fing es doch schon an mit der ganzen Verbitterung. Wir sind die anderen, die halt niemals dazu kommen, selbige auch zu sein. In derselben Zeitung las ich dann, daß der Verzehr von Bitterschokolade in den Coronatagen stark zurückgegangen ist. Man macht es sich also lieber süß. Echt süß! Und was heißt eigentlich posttraumatisch? Ich träumte und dann kommt der Postbote und schmeißt mir die Rechnung in den Briefkasten? Am Himmel hängt schon wieder ein Gewitter! Bitter!
…..
…..
…..
nun da die zukunft nur noch ein zwieback
vielleicht uns ist
vor dem zerkauen einzuweichen in lauwarme milch
nun da die zukunft keine schwarzwälder
kirschtorte mehr üppig getränkt mit schnäpsen
die wir weit ausholend unseren ahnen ins gesicht
schleuderten unsere tische zukunft reich gedeckt noch
waren damals
packt uns die angst vor einer zukunft
die uns nur mehr scheint zwiebacken
die wütende sahne im gesicht aber dem eigenen
sie empört uns indigniert
sollten wir aber gelernt haben
dass jede bagatelle
dass die zukunft der nachwachsenden
sich von der vergangenheit der
altvorderen
nur in der form unterscheiden wird
nicht der inhalt sich wandelt
verlust schmerz euphorie leid schmerzende glieder
einatmen
ausatmen
die hoffnung blind umklammert
eingeweichten zwieback schlürfend
durch einen strohhalm
…..
PS: Sie werden in den nächsten Tagen in London die neue Variante des kleinen Tierchens wohl weiterzüchten und uns – sincerely yours – über den Kanal schicken. Wir werden es nicht zu verhindern wissen, auch nicht mit Klagen und Barmen. Hoffe trotzdem, daß einer der sympathischsten Kicker ever, Mister (bald Sir?) Harry Kane noch zwei bis drei Tore schießt. Das Foto getätigt 2017 in GB. Einer der wunderbarsten Urlaube, in der Sprache der Nachwachsenden, ever!
…..
… ein kleines Stück Dylan zum Frühstück
…..
…..
Seit ein paar Wochen jeden Sonntag – ok, fast jeden Sonntag und wenn ich Lust und Zeit habe und nicht meinen Gemüsegarten gießen muß – ein kleines Stückchen Bob Dylan zum Frühstück. Frisch verwurstete Texte. Oder altes Material. Eigener Mist. Fremder Mist. Fundstücke. Auch das alte Brot muß man essen. Auf geht’s. Fast jeden Sonntag. Fast ist mehr als nüscht.
…..
Blues für Geächtete
*
Nicht so einfach. Stolpern
Um mit dem Gesicht in einer lustigen Lagune zu landen
Nicht so einfach. Stolpern
Um mit dem Gesicht in einer lustigen Lagune zu landen
Vor allem wenn die neun Meter unter Normalnull liegt
Oder es ist drei Uhr am Nachmittag
*
Ich hänge keine Bilder mehr auf
Und schon gar nicht Bilderrahmen
Ich hänge keine Bilder mehr auf
Und schon gar nicht Bilderrahmen
Gut, vielleicht sehe ich Robert Ford ähnlich
Aber ich fühle mich eher wie Jesse James
*
Wünschte mir ich wäre auf so einer
Australischen Bergkette
Ich wünschte mir ich wäre auf so einer
Australischen Bergkette
Gibt keinen Grund dort zu sein, aber
Stelle mir vor das wäre mal eine Art von Veränderung
*
Trage meine dunkelste Sonnenbrille
Und schwärze meine Zähne denn so sehe ich besser aus
Trage meine dunkelste Sonnenbrille
Und schwärze meine Zähne denn so sehe ich besser aus
Aber frage mich nichts über gar nichts
Ich könnte Dir die Wahrheit erzählen
*
Bin mit einer Frau aus Jackson zusammen
Weiß aber gar nicht wie sie heißt
Bin mit einer Frau aus Jackson zusammen
Weiß aber gar nicht wie sie heißt
Sie ist eine Chicana
Umso mehr liebe ich sie
*
…..
…..
Bevor ich in den großen Schlaf sinken werde
Möchte ich daß Du den Schrei eines
Schmetterlings hörst
Sagte ich zu ihr
Die mich begleitete
Jene angebetete Schaustellerin der Liebe
Die stand irritiert vom Leben jenseits der Bühnen
Mit mir am Grab des Sängers
Der zu schön war für den Rock’n’Roll
Und in einer Badewanne landete
Als er den Blues entdeckte
Um einzuschlafen für immer
In der Stadt der Liebe
Die ich suchte festzuhalten dort
Vergebens und hörte wie
Alle Schmetterlinge entflohen meiner Brust als ich sah
Ihr gelangweiltes Gesicht
Ob meiner kindischen Freude
Und ihre Gewißheit den Sänger im eigenen Bett
Empfangen zu dürfen
Hätte sie nur wollen dürfen
Zwischen ihren überschminkten Augen glaubte ich
Dies zu lesen
Vor dem Friedhof in einem Bistro
Trank ich drei Pernod
Sie schwieg eisern
Wie mein schmerzendes Herz
*
(Paris / Frühjahr 1998)
…..
PS: Zum fünfzigsten Todestag. Weiß immer noch nicht, was ich von ihm halten soll. Dieses Lied mochte ich immer sehr.
…..
PS2: Das Photo oben hat mir Mick Jagger zur Verfügung gestellt.
…..