den klempner rufen weil reinhard mey die welt rettet und nicht tim bendzko

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Stolperte eben über obiges Foto. Hatte ich 2012 in Istanbul aufgenommen.

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Erster Nebengedanke: Würde ich – selbst wenn ich dürfte – heute nochmal nach Istanbul reisen wollen? Ich war damals von dieser Stadt begeistert, mitgerissen, fasziniert wie von wenigen anderen. Lissabon noch. San Francisco. Hamburg. Wien. So in etwa die persönlichen Großen Fünf.

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Zweiter Nebengedanke: Die Welt steht Kopf. Nichts Neues. Tat sie immer. Draußen vor der Tür. Jetzt hat sie nicht nur bei uns angeklopft, sondern sogar einen Fuß auf die Schwelle gesetzt. Was erlaube Welt? Du solle kaufe deutsche Produkte und sonst halte Schnauze, gelle. Und ich fahre Urlaub.

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Dritter Nebengedanke: Weshalb nochmal obiges Bild? Man sitzt zu oft auf dem Sofa. Man schaut zu oft Fernsehen. Man sieht so viele Menschen reden. Man sieht Menschen reden, die ihr Geld damit verdienen zu reden darüber, warum viele dieser Tage kein Geld verdienen. Aus ihren Alligatorenaugen fließen gut bezahlte Bäche.

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Vierter Nebengedanke: Etliche beklagen aus der ehemaligen BeErDe sei eine diskursunfähige Bananenrepublik geworden. Sie beklagen dies, während sie sprechen. Warum sprechen sie außer um des Sprechens willen?

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Fünfter Nebengedanke: Die Kleinen Fünf noch. Kiel. Nidda. Kalamata. Hoyerswerda. Innsbruck.

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Danebengedanke zum fünften Nebengedanken: der war weniger wichtig, vielleicht sogar daneben. Aber vielleicht ist es das, was zählt. Die Ränder.

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Hauptgedanke: Gestern schickte mir ein sehr lieber Mensch eine Mail. Am Schluß stand: „Lasst Euch nich ermutigen“. War das jetzt nur der klassische Freud`sche Versprecher oder ist es sogar eine neue Wahrheit im Sinne von: Schnauze da draußen, das permanente mediale Geplapper hilft doch keinem? Vor allem nicht denen, die Hilfe bräuchten? Lediglich den eitel plappernden und wohlfeil klingelnden Börsen? May be, baby.

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Conclusio: Reinhard Mey ist gefordert. Statt 148.713 Mails checken, besser den Klempner rufen und die Kommunikationskanäle freipusten lassen.

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Erster Nebengedanke zur Conclusio: 1974 noch konnte eine Gitarre sogar Ragtime – Piano spielen. Siehste!

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Zweiter Nebengedanke zur Conclusio: Was wollte ich jetzt eigentlich sagen?

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Stimme von oben: Siehste! Hättste die Fahrradkette mal geschmiert, bevor Du losfährst.

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Stimme nach oben: Jetzt weiß ich. Weniger Pfeffer ins Geplapper.

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Antwort von oben: Besser spät als nie.

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Mit unterwürfigem Blinzeln nach oben: Heißt Du jetzt Thorwe? Und was ist Deine Postleitzahl?

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§=G*CS“‚***SX-F?$R’*C:WA“*“WD?

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einen gedenktag dem baum den rest des jahres sich den bauchnabel puhlen

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Den letzten Sonntag nannte man den Tag des Baumes. Es soll sogar den Tag der zu engen Unterwäsche geben. Oder den Tag des Fußschweißes. Und einst gab es den autofreien Sonntag. Gar den Tag der gerissenen B – Saite. Sowie den Tag der weinenden Alligatoren. Was man halt so als Schwerpunkt setzen mag. Der Gefährte war auch diesmal schneller. Es mangelt ihm zwar als Vertreter des Herren der Tiere an Bauchnabelei, wie er es nennt. Dafür aber ist mehr Weitsicht sein eigen, die ja letztlich Rücksicht ist. Oder?

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Wenn Dich jeder brüllende Schmerz Seifenblase

wie eine Säge die das Holz zersplittert kreischend

trifft wie eine Sonne die zerbrennt Lebensgeschichten

vor der Unerbittlichkeit Endlichkeit Dein Hasten Sekunden nur

bremse

die Furcht ehre

Deinen Baum hüte

und Element sei nicht Herrscher denn

umarmen mußt Du sie nicht die Bäume

laß sie nur in Ruhe betrachten Dich

als ein vorbeihuschendes Ausatmen

des Augenblicks Leben

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(Archibald Mahler / angehender Lehrling des Großen Kamuy)

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schweigekartell die ängste eigensinnig

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Heute nochmal am Ruder der Reime der Gefährte dem die momentanen Einsamkeiten ohne Frühling auch so langsam auf den Senkelsack gehen. Morgen aber kriegt er dann Besuch. Freue ich mich auch schon drauf. Selbst zum Selbstgespräch benötigt man ja ein Gegenüber.

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Laubsuppe knirscht knistert Sonnenbrandkekse im

lenzscheuen Gehirn

lange Leiden weilen lange an Leinen

harren der Klinge Gespräch Seelenpflaster

nicht die ehemaligen Pläne vergessen

mäanderne Freundlichkeiten auftauender Eiswein

vorne beginnen

sie beugte sich seine Schnürsenkel zu binden

singt der Meister weiche Knie zieh den Hut

gewaltiger Durst knirscht Eingeweide platzen

verschütte ich meine Erwartungen blüht

und teilt der Wald seine Geschichten also

die eigenen Vorräte auf fremdem Grund gießen

grundlos freudig

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(Archibald Mahler / Zimmermannologe in Ausbildung)

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PS 1: Heute hat die Queen Geburtstag. Stand up still and lift your hat! Ist Harry zu Hause geblieben? Man mungelt su, aber nix Genaues waas mer net! 

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PS 2: Ich danke meiner Schwester für obiges wunderbare „Familienfoto“.

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PS 3: Iss ja nich so, daß mir Meister Dylan nicht nahe ist, aber diese knallharte Bläue seiner Augen ist mir erst mit diesem Clip vor die Füße gefallen. In einem Gletschersee baden, um seine Seele zu wärmen.

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dem mythos erfolg folgt der müde tod niemand der unter druck ist besser die arbeit nicht als leben wäre ein traum

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Ja, der Gevatter mit der Sense streunt durch unser aller Stuben dieser Tage. Man mag es glauben oder nicht und anmerken, das sei doch mal wieder maßlos übertrieben, so was von. Durchaus in Ordnung. Dem Gevatter aber ist das wurscht. Er hat ausreichend Arbeit.

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Komme von der Trauerfeier der Stadt Gießen zu Ehren der Coronatoten. Mehr als überfällig und trotzdem sehr gut, daß es überhaupt noch möglich gemacht wurde. Sehr bewegend, sehr gescheit, aber auch ganz seltsam verstörend. Morgen mit wachem Kopf davon mehr.

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Aprilwetter passend zur Lage der Nation. Zwischen Frieren und Schwitzen mag es sich nicht entscheiden können. Bisserl mehr Gleichmaß, Herr Lenz.

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Der Tod erntet nicht nur bei uns Menschen. Das Foto oben nahm ich auf vor zwei Wochen. An einem der paar Tage vor Ostern, als plötzlich 24 Grad Celsius über uns hereinbrachen. Das ist ein Stück Wald, Südhang, vor drei Jahren noch blickdicht bewachsen. Wiederhole mich: Das ist ein Foto eines Stücks deutschen Waldes im Frühjahr 2021. Hier vor meiner Haustür. Unbearbeitet. Die arme Sau Natur. Die Bäume sind so müde.

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Das alles ist schon eine seltsame Suppe, in der wir so rumrühren zur Zeit, meist ohne den Willen oder die Fähigkeit klare Entscheidungen zu treffen. Der Tod der Jahreszeiten. Neue Komposition von Vivaldi? Unten Meister Beckett, hat er verfasst nach dem letzten großen Krieg. Wer sich selbst kennt, kennt den Menschen. Nach dem Krieg ist vor dem Krieg.

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es lebe tot meine einzige Jahrzeit

weiße Lilien Chrysanthemen

frische verlassene Nester

Aprilblättermorast

rauhreifgraue Sommertage

(Samuel Beckett / Sechs Gedichte / 1947 – 1949)

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Trostmusik.

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wie viele tote eintauschen gegen das freie leben willst du dir leisten dürfen

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Aufgestanden. Zähne geputzt. Gefrühstückt. Oder andersrum. Dann – Routine nun – statt im Cafe wie – Darf man schon „damals“ sagen? – na ja, eben wie einst, nun die Zeitungen gelesen wie man es halt so tut dieser Tage im weltweitem Netze. Meist auch das lediglich Routine. Neue Zahlen. Keine Feste ohne Teste. Söder, Löw und Fink und Star. Wo ist denn jetzt der Frühling? Der nächste Urlaub wieder nicht möglich? Was tun? Aufgeblasene Luftballons, die sich weigern zu platzen. Karussellfahrten kostenlos, aber vom wohligen Schwindel befreit. Unzählige Hamsterräder, simulierend gestriges Glück. Besserwissen ist geschissen. Eigene Nase anpacken. Das mentale Sieb braucht schon große Löcher. Dann aber das sehr berührende Interview. Freue mich immer, wenn es jemandem gelingt das Persönliche und das Allgemeine in eine Art von sinnvollem Zusammenhang zu führen. Fällt uns schwer. Müssen wir halt dranbleiben. Vielen Dank für den Text!

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boredom is my inspiration / bob dylan

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Ich habe mich dieser Tage an den Dialog mit den alten Gefährten gewöhnt. Bleiben wir also dran am Alterndem Egoist. Oben der aktuelle Wanderstock.

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hinter mir der Weg liegt vor mir das neue Jahr schon gestorben vor der Zeit

das Nest verließ ich singend im Aprillaunengewitter am Stock

drücke ich mich in die erhofften Höhen

neue Lieder wie die ersten Schmetterlinge stammelnd

taumelnd Rauhreif auf den Flügeln durch die hohle Gasse hinauf

flatterhaft ohne Ziel Trommelwirbel Ungewißheit in den Innereien knirscht

des Winter Laub unter dem Fuß gnädige Erinnerung

und wäre ich dieses eine welke Blatt

und wäre man dieses eine Blatt das welken wird

und bliebe man ein Blatt welkend

man bliebe dieses Blatt

und welkte

eben noch erwacht

so ein Blödsinn aber auch

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(Archibald Mahler / Freund der Ambivalenzien und Zimmermannologe)

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Unten mein Beckettgedicht zum heutigen Tage

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Musik der Gleichgültigkeit

Herz Ruhe Luft Feuer Sand

der Ruhe Einsturz der Lieben

übertöne ihre Stimmen damit

ich mich nicht mehr

schweigen höre

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(Samuel Beckett / 1937 – 1939)

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Stille die Liebe den Haß die Stille stille

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Las eben in der Zeitung seit zehn Jahren nun sei dieser April wieder ein rechter April. Wie er früher einmal war. Sollte man eigentlich dankbar frieren und das Auf und Ab, Hin und Her, Holterdiepolter genießen mögen. Man gewöhnt sich wohl zu schnell daran, wenn es zu angenehm wird gegen alle Vernunft. Man sollte sich vielleicht doch schneller an Unvermeidliches gewöhnen können sollen. Ist möglicherweise vernünftiger trotz Gänsehaut. Nochmals der Verweis auf den Weggefährten. Er ist momentan gewitzter im Kopp als ich. Er wird dies aber bezweifeln wollen. Dafür liebe ich ihn.

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ich will es nicht wissen

was mir das Fremde in mir hielte ich es in den Händen gestern war

Bergwerke tiefe Gräben gesprengt in den Karst schuppender Erinnerungen

Laub im Lenz schon runzelnd

mein Finger streicht über

rauhe Häute Schürfwunden liebevoll Gewebe vernarbt

diese Landkarte mag ich lesen morgen wenn übrig mehr

an verlorener Zeit

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(Archibald Mahler / Poet der Meteorologie und Meisterschüler)  

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Ich hatte mich mit einem Beckett – Gedicht in die Bühnenpause verabschiedet. Hier wieder eines zur Rückkehr. Dylan. Beckett. Ä Gläsle Spätburgunder. Soviel mehr benötigt man eigentlich nicht. Und natürlich: das Vergessen können lernen. Freiwillig. Und jemanden der zurückliebt.

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gut gut es gibt ein Land

wo die Vergessenheit

sacht auf die unbenannten Welten drückt

da verschweigt man den Kopf der Kopf ist verstopft

und man weiß nein man weiß nichts

der Sarg der toten Münder stirbt

am Strand er ist angelangt

es ist nichts zu beweinen

..

mein Einsamsein ich kenne es ja ja ich kenn‘ es kaum

ich habe Zeit so sag ich mir ich habe Zeit

doch welche Zeit hungrig Gebein die Zeit des Hunds

die des stetig verblassenden Himmels meines Stückchen Himmels

des Strahls der zitternd emporschimmert

der Mikronen der Dunkeljahre

..

es heißt ich soll von A nach B gehen ich kann es nicht

ich kann nicht `raus ich bin in einem fährtenlosen Land

ja ja es ist eine feine Sache die sie da haben eine ganz feine

was ist das fragen sie mich nichts mehr

Spirale Staub von Augenblicken was es ist das gleiche

Die Stille die Liebe der Haß die Stille die Stille

*

(Samuel Beckett / Sechs Gedichte / 1947 – 1949)

……

Kleine Meditation über das Warten unter besonderer Berücksichtigung erinnerter Worte aus dem Theaterfundus

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Sagte der Schalk zum Dieb: „Es soll doch einen Weg geben, der hier rausführt!“

Sagte Estragon zu Wladimir: „Du sagtest, daß wir morgen wiederkommen müssen!“

Sagte Lobkowitz zu Shlomo: „Lass uns warten, Schlomo. Warten ist die wahre Zeit. Wenn man auf den Messias wartet, kommt es aufs Warten an, nicht aufs Kommen.“

Sagte Shlomo zu Lobkowitz: „Oh Herr!“

Sagte Wladimir zu Estragon: „Das sagt man so!“

Sagte der Dieb zum Schalk: „Kein Grund sich aufzuregen!“

Mischte sich Bertolt Brecht ein: „Ich bin nicht gern, wo ich herkomme.  Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre.“

Sagte George Tabori: „In der Erinnerung ist das ganze Leben ein Tag.“

Wiederholte Wladimir: „Das sagt man so!“

Also sprach Samuel Beckett: „Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“

Und Winnie starrte zum Zenit und sagte: „Wieder ein himmlischer Tag!“

Willie antwortete: „Fürchte nicht mehr!“

Wieder Wladimir: „Das sagt man so!“

Darauf Winnie mit derselben Stimme: „Was?“

Willie wurde wütend: „Fürchte nicht mehr!“

Sagte aber Clov zu Hamm: „ … Ende, es ist zu Ende, es geht zu Ende, es geht vielleicht zu Ende!“

Sagte Hamm zu Clov: „Es ist aus. Mit uns ist es aus. Bald aus!“

Sprach Godot: „Wartet nicht auf mich!“

Erzählte George Tabori einen Witz: „Hängen zwei Schächer am Kreuz. Fragt der eine: „Tut’s sehr weh?“ Antwortet der andere: „Nur wenn ich lach‘.“

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