Von der Notwendigkeit gelegentlich das Haupt gegen den Boden zu senken / Fangen wir wieder an zu rauchen 06

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Pfronten / Mariengrotte / Falkenstein / 14. Juni 2022

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Also wanderten wir hinauf zur Mariengrotte unlängst. Sehr steiler Pfad. Treppen. Wurzeln. Viele Pausen. Es tat weh. Kann die Metapher mir nicht verkneifen: ein Spiegelbild der letzten Monate. Die Mariengrotte liegt unterhalb des Falkensteins bei Pfronten. Eine wie ich erst auf dem Rückweg durch das Vilstal mit Blick nach oben auf den stundenlang begangenen Grat bemerkte, gigantische Felsvulva, aus der wohl, so dachte ich da, die Erdmütter einst das Leben in die Berglandschaften des Allgäu geworfen hatten. Oberhalb der Grotte die Ruine Falkenstein, die von ihren Besitzern, Tiroler damals, im 30 – jährigen Krieg abgefackelt wurde. Man befürchtete, die sich am Bodensee und in Bayern rumtreibenden Schweden, würden die Burg einnehmen und als „Räubernest“ nutzen. Knapp zweihundert Jahre später kam „Kini“ Ludwig, der Vorgänger aller Lichtgestalten in Bayern, auf die Idee dort ein zweites und noch höheres, weiteres und fetteres Neuschwanstein zu errichten. Doch noch vor Vollendung des ersten Prunkbaus, Sehnsuchtsziel aller Japaner und des gesamtdeutschen Mittelstandes, trieb den Kini seine innere Finsternis in den See. Wohl das Schicksal vieler Lichtgestalten. Hinteregger hat ja noch die Kurve gekriegt.

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Die Mariengrotte wurde im 19. Jahrhundert entdeckt. Eine Frau habe von ihr geträumt, sagt man. Mann suchte und fand sie. Der damalige Pfarrer von Pfronten beauftragte einen Bildhauer in diese Spalte eine Statue zu Ehren der wundertätigen Jungfrau Maria zu Lourdes zu errichten. Am Tag, als der Künstler die Grotte erreichte, eine und auch das Maß nahm und erste Entwürfe überdachte, stürzte am gegenüberliegenden Breitenstein der auftraggebende Pfarrer Anton Stach bei einer Bergtour tödlich ab. Besagter Künstler, der Pfrontener Bildhauer Theodor Haf, führte den Auftrag aber zu Ende. Wenn Gott zu laut spricht! Eine Geschichte, die ich nicht erfunden habe. So steht es in ganz alten Lettern auf einer Gedenktafel an diesem verwunschenen und auch strahlenden Ort, der mich – die weißen Steine, die Blumen, die Schroffheit – sehr an ein griechisches Kloster erinnerte. Die hängen ja auch gerne oben im weißen Felsen rum. Und beim Erreichen des Heiligtums pocht das Herz und zwickt das Knie und man schwitzt. Gut so.

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Es tut gut an solchen Orten das Haupt zu neigen oder die Hände zu falten. Und wenn man sich nur bedankt dafür, daß einem jemand das Futter für seine Esel gereicht hat. Siehe gestern.

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Wir blieben länger da oben sitzen. Es gab einiges zu bedenken. Ein Ehepaar, welches mit uns unten losgelaufen war, beide über 80, erreichte eine halbe Stunde nach uns den Ort, keuchend und gut gelaunt fluchend über die „Schinderei“. Früher sei das ihre Tour gewesen. Zwar schrumpfe das Pensum Jahr für Jahr zusammen, aber wie der Mann sagte: „Wann Du die Muskeln net bewegn tuast, nachert sann die gleich weg!“ Ich glaube, er meinte Oberschenkel und Hirn. Es war einer der guten Tage.

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RAUCHPAUSE / Teil 06

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Was wollen die eigentlich: im Durchschnitt mache ich 8 – 10 Jahre früher die Biege. Ich erspare der Gesellschaft Kosten. Mir müssen keine armen Zivildienstleistenden den Arsch abputzen oder rumänische Hilfskräfte mich im Rollstuhl den Flur hoch und runterschieben. Da liege ich schon längst unterm Holzkreuz. Na ja, muß ja nicht gleich morgen sein. Wäre schade. Ich habe ja noch gewisse Verpflichtungen. Steuern ist das Stichwort. Mal ein paar Zahlen. Fakten. Fakten. Fakten. Kostet etwa 0,22€ der einzelne Stab. Davon Steueranteil: 0,18€. Hochrechnung: 20 Stück am Tag. Mal 365 ist gleich 7300. Sind wir ehrlich, inklusive Parties und Beziehungskrisen oder frisch verliebt sein: 8000 im Jahr. Das Ganze mache ich jetzt seit 30, eher 33 Jahren. Macht alles in allem 264000 Teilchen, die mich durch mein Leben begleitet haben. Mal 0,18€ Staatsanteil ist das gleich 47.520€. Sind wir ehrlich und sagen wir aufgerundet: 50.000€. Sprich 100.000 ehemalige DM. Einhunderttausend. Sechsstellig.

Einfach so. Ist doch großzügig. (holt Zeitungsabschnitt raus) Hier: „Studie: Großzügigkeit genetisch bedingt.“ Die Großzügigen haben so ein Gen AVPR1 in sich, die anderen eben nicht. Vielleicht ist das ja dasselbe Gen, das macht, daß die einen es tun, die anderen nicht. Wahrscheinlich. Eins ist sicher. 95% Prozent aller Biere, die mir jemals ausgeben wurden, habe ich von? Na? Brauch jetzt nicht weiterzureden. Ist so.

Ich kenne jetzt die Steuersätze für Kamillentee, Tofu, Kanne Brottrunk oder so nicht wirklich. Jedenfalls baust du damit keinen Kindergarten. Und ich bin ja nicht allein. Auch wenn es jetzt grade mal so aussieht. Ich und alle meine Genossen: 14,4 Milliarden € im Jahr. Damit bauen wir die Straßen, auf denen wir dann von Red Bull saufenden, kaugummikauenden, adrenalinsüchtigen BMW – Piloten über den Haufen gefahren werden. Gell ihr Hansis. Ihr könnt Euch bestenfalls noch einen Papierkorb in der Fußgängerzone leisten. Aber ohne Aschenbecher. Das wäre nämlich zu teuer. Gefährdet zudem die „Frische Luft“ in der Fußgängerzone, der Konsumerlebniszone, der „Find-was-Dich-glücklich-macht-Eventmeile“. Das ist total gesund. Shoppen von Montag bis Samstag, jeden zweiten Sonntag und am Freitag bis Mitternacht. Moonlightshopping. In frischer Luft. Scheint auch schon zu wirken. Jugendliche tun es immer weniger. Gut, die laden sich Pornos und Foltervideos aufs Handy, verprügeln ihre Lehrer. Machen Wahlkampf für Koch. Aber schädlich einatmen, das tun sie weniger als früher. Ich weiß auch warum. Flatrate-Abkippen! Nur ein komatöses Wochenende ist ein gutes Wochenende! Die sind zu blau. Die kriegen die gar nicht mehr angemacht. Ich habe da ja auch im Prinzip nix dagegen. Jedem seine Sucht. Ich bin durchaus für radikale Bekämpfung von Abhängigkeiten auf allen Ebenen. Aber bitte konsequent. Ich habe da so einen kleinen Katalog entwickelt.

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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)

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Mariengrotte / siehe oben / vielleicht auch Kalymnos / Agia Maria / aber siehe die Gedenktafel

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Von der R(a)echenschaft oder füttere Deine Esel regelmäßig und gelassen / Fangen wir wieder an zu rauchen 05

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Pfronten / Fallmühle / 14. Juni 2022

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Alle haben es immer kommen gesehen. Außer die Väter, die keine Alimente zahlen wollen. Entschuldigung. Fortgeschrittenes Alter senkt das Niveau des Humors. Man muß sich nicht mehr ganz soviel beweisen. Schon gar nicht den Nachfolgenden. Natürlich bestätigen da Ausnahmen die Regel. Um was geht es? In meinen letzten Jahren an den Theatern wurde öfters über die sogenannte Einführung einer Fehlerkultur disputiert. Ich gebe zu: Ich war dabei. Eigentlich müßig. Man macht Fehler. Frauen nicht minder. Vielleicht sogar das dritte Geschlecht. Und ganz gewiß das fünfte Element. Warum man sich bei seinen Selbstbeschimpfungen nach einer erhöhten Fehlerquote gerne mal als Esel bezeichnet, war mir schon immer ein Rätsel. Die Anderen fordern gerne Rechenschaft, was meist nur verleugnete Rache schafft und ist. Man selbst hadert und ringt. Ja, ich mag diese altvorderen Bilder, man ringt mit sich und der übergeordneten Instanz. Auch Klage ist Gebet. Damit dies Früchte trägt, füttere man seinen Esel aka ehre seine Fehler. Als jemand, der sein langes Berufs – und Privatleben vom Perfektionsstreben durch die Tage gekickt wurde, ein nicht unwesentlicher Erkenntnisschritt. Besonders wenn ein Gegenüber dir einen besonders dämlichen Fehler verzeiht und dir sogar das Futter für deine Esel aus der Wiese zupft. Es ist nie einer, der es allein verkackt hat. Ich war immer dabei.

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RAUCHPAUSE / Teil 05

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Kälte ist ein Verbrechen. Katastrophale Auswirkungen auf den Körper. Man steht da, in sich gekrümmt, Schultern hochgezogen bis an die Ohren. Wenn das nicht die Seele und das Denken verkrümmt. Ob sich Hansi da schon mal drüber Gedanken gemacht hat?

Egal. Funktionsunterwäsche rules ok. Also sitze ich im Cafe mit meiner Zeitung und da fängt diese Masseurin tatsächlich an jemanden zu massieren. Eine junge hübsche Frau. Studentin. Die hat davor 2 bis 3 Bionade getrunken. Ich weiß jetzt nicht, ob das irgendwie verspannt. Nach kurzer Zeit fängt sie an zu stöhnen und die Masseurin, die sagte dann immer „Ja ja ja, er muß raus.“ Wahrscheinlich meinte die den Schmerz. Aber irgendwie habe ich das auch auf mich bezogen. Und wieder stand ich vor einer Türe. Verschreckt. Mit schlechtem Gewissen. Paranoid. Verfolgungswahn. (Pause, er nestelt rum, holt einen der vielen Zettel und Zeitungsausschnitte, mit denen seine Taschen gefüllt sind raus und liest vor, sehr laut und erregt)

„Die unternehmerische Freiheit, das Hausrecht und die Eigenverantwortlichkeit der Gastwirte, die mit der Zurverfügungstellung ihrer Geschäftsräume und dabei mit vollem unternehmerischem Risiko Ihren Lebensunterhalt verdienen, muß gewahrt bleiben. In der Demokratie ist die Selbstbestimmung des eigenen Lebensstils und die eigene Handlungsfreiheit das höchste Gut.“

(ein übler Hustenanfall schüttelt ihn) Schon wieder. COPD. Die „chronisch obstruktive Lungenkrankheit.“ Raucherhusten. Diese Pharisäer. Sie sorgen sich um mein Heil und schicken mich hier raus. In die Kälte. Und ich stehe hier wie ein Schaf, in Hinterhöfen, neben Mülltonnen, auf zugigen Bürgersteigen. Werde blöd angegafft. Stumm. Unter Wolken. Es war schon immer ein Merkmal der Bigotterie, daß sie keine Sekunde an Nächstenliebe verschwendet. Bigotterie, das ist die wahre Himmelsverschmutzung.

Gott sei Dank ist ja bald wieder Sommer oder wenigstens Frühling. Obwohl, ist mir eigentlich lieber der Winter. Habe ich wenigstens meine Ruhe hier. Im Sommer kommen die dann wieder alle angeschissen. Aber denen werde ich was erzählen. Hier draußen das ist mein Bereich. Ihr könnt ja wieder rein. Ist ja alles sauber jetzt, und frisch. Hier draußen ist Giftland. Die Wüste Nevada. Seveso. Tschernobyl. Wasteland. Weil, wenn die dann rauskommen, da sitz ich hier bald mit einem Aquarium auf dem Kopf. Die sollen schön da drinbleiben. Komm mir jetzt schon vor wie Richard Kimble. Immer auf der Flucht. Hansi. Im Sommer kommt er dann wieder raus mit dieser Tante, die den jetzt am Gängelband hat. Die können mich mal. Denen nagele ich die Tür zu. (fängt an zu lachen) Das mit dem Aquarium übern Kopf ist gar nicht schlecht. Verdichtung quasi. Erhöhte Konzentration. Früher: zu siebt oder zu acht im VW-Käfer. Alles zu, Türen, Fenster. Dann so ein langes Ding mit indischen Heilkräutern gebaut. Und: keiner verläßt den Raum. „Nobody gets out of here alive. I light another … learn to forget, learn to forget, let me sleep allnight in your soul kitchen, warm my mind in your gentle stove …” Das waren noch Gruppenerlebnisse. Solidarität. Gemeinsames Erfahren der Endlichkeit. Hunde wollt ihr ewig leben. Es fährt ein Zug nach Nirgendwo. „This is the End, my only friend, the End.“ Gestorben werden muß.

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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)

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Eine Möglichkeit sich dem schlimmsten Feind zu nähern kann mal existieren / Fangen wir wieder an zu rauchen 04

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Pfronten / 14. Juni 2022 / Blick vom Balkon

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Ich war jetzt in erfreulicher Begleitung meiner Vergangenheit und Zukunft im Allgäu. Berge hoch und runter. Von oben nach unten blicken. Von unten noch oben schauen. Aber auch in Bergseen schwimmen. (Mein Gott! Mitte / Ende Juni! Bergsee! Dig it!) Hatte mich ja in letzter Zeit eher in die See verguckt. Sogar ernsthaft überlegt da hoch zu ziehen. Vögel zählen. Oder Bier verkaufen. Und nun in der Gegend, in der wir in Kinder – und frühen Jugendzeiten oft Familienurlaub machten. Eine freundliche Landschaft. Freundliche Menschen. Griaß Di hat soviel Charme wie ein nordfriesisches Moin. Versöhnliche Tage. Hoffe, es bleibt so. Weiter im alten Text.

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RAUCHPAUSE / Teil 04

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Gut, ich sitze da und meine Hände drehen durch. Um runterzukommen mach ich so Handübungen. Funktioniert nicht wirklich. Also mach ich so eine entstressende ayurvedische Kurzmeditation, reibe meine Stirn mit Baldrianessenz ein – das Zeugs habe ich jetzt immer dabei, um in Krisensituationen nicht komplett nackt dazustehen – schau wieder hoch und da sehe ich, dort wo sonst der Drogenautomat stand, steht jetzt ein Massagestuhl. Wirklich! Und so eine seltsame hagere weißgesichtige Frau mit rotgefärbten Haaren.  Wieso sehen „Gesunde“ immer so krank aus?

Vor ein paar Wochen, da wollt ich mal Gesundleben – vom Salto mortale zum Salto vitale quasi – und geh zum Reformhaus. Wollte mir da was kaufen. Eine Kanne Brottrunk zum drin baden wegen Entgiftung der Leber. Hat man ja manchmal, solche Schübe. Ich stehe da und übe so vor mich hin, damit ich das so natürlich und schwungvoll sagen kann wie: „Machst Du mir noch mal ein Kleines, bitte!“  Oder: „Zwei Packungen. Die Roten. Die normalen.“ Hat man ja drauf. Aber: „Ich hätte gerne eine Kanne Brottrunk! Und wo bitte steht der extrastarke Leberentgiftungstee?“ Das ist doch wie der Hausärztin laut und vernehmlich ins Gesicht zu sagen: „Frau Doktor, meine Hämorrhoiden bluten wieder.“ Gut, da stehe ich also vor dem Laden und sehe im Ladeninneren hinter dem Tresen den Verkäufer. Wahnsinn. Ich denk, ich spinn. Also erstmal ist der total dürre. Keine Backen im Gesicht, eher so Löcher hier. Eine Haut, als hätte er Hepatitis, aber die harte B-Form. Ich dachte, das ist Pete Doherty mit Langhaar-Perücke. Im Schaufenster sah eigentlich alles nach Gesundheit aus. So ein großes Plakat: Rotbäckchen. Dieser Saft. Meine Augen wie ein Pendel immer zwischen dem Plakat und dem Besitzer hin und her: Rotbäckchen. Pete Doherty. Rotbäckchen. Pete Doherty. Rotbäckchen. Pete Doherty. Irgendjemand lügt hier, dachte ich mir und habe angefangen zu zweifeln, ob das alles richtig ist mit Kanne und Leber oder ob ich mir jetzt nicht einfach irgendwo ein Brot kaufe und Leberwurst draufschmiere. Blieb also erst mal da draußen stehen, um in mich zu gehen. Aber auch die Kunden, oder Käufer, die da aus dem Laden kamen, sahen alle irgendwie traurig aus oder müde oder waren einfach nur total verausgabt. Meistens Frauen. Also die sind da rein, konnte ich beobachten und haben eine halbe bis eine Stunde mit diesem „Öko – RiffRaff“ geredet. Gut, denke mir das so etwas erschöpft. Und am Ende haben sie nur so eine kleine Packung Tee oder Pillen gekauft. Wahrscheinlich hat das einen Wochenlohn des werten Gemahls gekostet. Gut, das wiederum macht traurig. Denke ich mir. Da sieht man nicht mehr so frisch aus. Ich bin dann letztlich nach nebenan. Zwei Häuser weiter ist so eine Kneipe, die schon morgens um sechs aufmacht. Ich habe gedacht, vielleicht gebe ich meiner Leber jetzt das, wo sie sich schon dran gewöhnt hat. Aber die, die dort drinnen saßen, die sahen auch so traurig aus und machten auch seltsame Handbewegungen. Und es roch nach Baldrian. „It’s a sad and beautiful world!“

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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)

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Von all den Kälten auf den Fluchten vor seinem schlimmsten Feind: sich selbst / Fangen wir wieder an zu rauchen 03

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Gießen / Enjoy Bar / 11. Oktober 2006

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Draußen graue Unwetterwolkenberge. Meine Rechner meldet mir: 20 °C sonnig. Ja, im Laufe der letzten Jahre / Jahrzehnte haben sich die Einschätzungen, was denn nun eine gemeinsame Realität sein könnte massivst verschoben. Es gibt sie die Paralleluniversen, die verschiedenen Wahrnehmungen. Man kann sich kaum mehr einigen auf die Bedeutung eines Wortes. Turmbau zu Babel revisited. Blick aus dem Fenster versus Blick auf den Bildschirm. Nachsinnen versus Ratgeber. Gleich der erste Donnerschlag. Ich höre ihn. Es regnet. Jemand biegt um die Ecke, klingelt bei mir und sagt: „Das siehst Du ganz falsch!“

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RAUCHPAUSE / Teil 03

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Schon kalt, gell. Wenn ich hier draußen stehe, habe ich immer das Gefühl gleich kommt jemand um die Ecke, hält mir ein Thermometer unter die Nase und sagt: „Ich habe hier eine einstweilige Erfrierung gegen sie.“ Aber nicht mit mir. Ich bin nicht so dick. Das täuscht. (zeigt seine mehreren Schichten Kleidung) Ich habe jetzt, als das alles am Horizont so sichtbar wurde mit dem NRSG, da habe ich mir Aktien gekauft von so einer Firma für Funktionsunterwäsche. An dieser Firma bin ich jetzt prozentual beteiligt. Ich schaffe neue Arbeitsplätze. Nicht nur in diesem Bereich. Hier draußen wird ja nun einiges benötigt. Lange Unterhosen. Heizpilze. Schirme. Stehtische. Meditonsin. Wick Medinait. Und. Und.

Es gibt Firmen, die bauen alte Bushäuschen zu Kabinen um, in denen man es tun darf. Oder bewegliche Abzugshauben über dem Schreibtisch, die sehen aus, wie die Trockenhauben beim Friseur. Du fühlst die Sucht kommen und zack. Kauf ich auch noch Aktien von. So ein Hype momentan. Sonst könnte ich mir meinen – sagen wir – leicht gestrigen Lebensstil auch gar nicht mehr leisten.

Überschlagen wir mal: 4€ – 8€ am Tag. Mal 365. Macht: 2920€ per anno. Nicht schlecht. Könnte ich bis zu 4-mal für 2 Wochen nach Malle fliegen. Mit diesen gesunden Flugzeugen, die alle inzwischen mit genmanipuliertem Rapsöl betrieben werden. Kleiner Witz. Oder 4 bis 5 mal meinen Offroadporsche volltanken.  Die machen wahrscheinlich auch frische Luft, diese Geländewagenpanzer, in denen meistens 1,60 m große Nebenerwerbsgattinen zum Shoppen fahren. Vielleicht gibt es ja inzwischen Katalysatoren, die man uns einbauen kann, und dann ist alles, was aus uns rauskommt Ambrosia.

Verdammte Scheiße. Saukalt. Ich meine nicht die Außentemperaturen. Ich meine das jetzt eher seelisch. Ein Riß geht durch unser Land. Verfolgt das Unrecht nicht zu sehr, in Bälde/ Erfriert es schon von selbst, denn es ist kalt. / Bedenkt das Dunkel und die große Kälte/ In diesem Tale, das von Jammer schallt. Bertolt Brecht. An Bronchitis will ich nicht sterben oder Kälteschock oder Lungenentzündung. So ein Bronchialkatarrh klingt einfach anders als das morgendliche rituelle Abhusten. Da arbeite ich mich jahrzehntelang in Richtung Karzinom, und jetzt. Wenn man sich für eine Krankheit entschieden hat, soll man schon da dranbleiben. Da bin ich anders als meine Altersgenossen. Das ist ja das Manko meiner Generation, dieser ständige Wechsel. Alles mal ausprobieren müssen, erst Jusos, dann KBW (Kommunistischer Bund Westdeutschland), dann Kiffen, dann Bhagwan, dann CDU wählen, dann heiraten, Scheidung, dann wieder Haare wachsen lassen, 10 Ausbildungen und 3 Studienrichtungen angefangen, doppelt so viele abgebrochen, mal diese Frau, mal jene, das Erbe verjubelt – falls es eines gab – mit 45 noch Punkmusik machen und wenn man sich dann im Wald verläuft, Papa anrufen, daß der einen abholt. Ist jetzt kurz gefaßt. Ich bin da anders. Konsequent. Leben wie ein Pfeil. Einmal abgeschossen.

Gestern oder vorgestern, als ich aus diesem Italiener raus bin, bin ich in ein Cafe, Zeitung lesen und für Hansi einen Gedenkgrappa trinken. Der macht das ja nicht mehr. Also, ich sitz da, will Zeitung lesen und kann mich nicht konzentrieren, weil meine Hände verrückt spielen. Die machen unkontrollierte Wellenbewegungen, fuchteln rum, als würde ich ein unsichtbares Orchester dirigieren. Das Stichwort ist: Konditionierung. Wenn ich eine Zeitung lese und einen Kaffee trinke, sind meine Hände es gewohnt gewisse Dinge zu tun. Da hat sich was auf der Festplatte festgebrannt. Vergleichendes Beispiel. Also wir jetzt: Menschen, Männer meines Alters. Du kannst mich nachts wecken und sagen: „Leg eine Schallplatte auf.“ Kein Problem, selbst mit 1,2 Promille. Jede Bewegung sitzt, obwohl das bald 20 Jahre her ist: Platte im Regal suchen, erst mit einem Finger leicht an sich ranziehen, dann mit zwei Fingern rausziehen, Cover anschauen, Cover umdrehen, rausholen mit Innenhülle, Innenhülle abstreifen, A- Seite auf Kratzer untersuchen, B- Seite dito, Staubfussel wegmachen, auf Plattenteller legen, kurz zur Freundin rüberblinzeln: „für Dich“, Tonarm auf den vierten Song: „lalalalala, lalala, etc There’s a lady who’s sure all that glitters is gold And she’s buying a stairway to heaven.“ Knutschen, Geschlechtsverkehr, und danach? Ja: eine anzünden.

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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)

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Ich habe sie bezahlt, meine 9 Euro / Dafür will ich aber auch den vollen Service / Fangen wir wieder an zu rauchen 02

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Oppenheim / Am Rheinufer / 7. September 2006

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Ist ja so eine Sache mit dem sogenannten Preisleistungsverhältnis. Und der Verführbarkeit. Die Billigangebote nutzen müssen oder wollen, möglichst wenig selber investieren können oder auch wollen und bei Nichtgefallen kostenfrei alles zurück. Diese Schuhe waren mir ein Irrtum. Und überhaupt. Die Rechnung zu begleichen wird zum Fremdwort. Dienstlich. Privat. Und sonst noch wo. Nennen wir es Leben und Lieben und Handeln nach Art des Hauses Zalando. Ich hab ein Recht auf Ryan – Air, mein Leben isch halt au so schwer. Meine volle Solidarität in den nächsten drei Monaten und darüber hinaus allen Zugbegleitern und Zugbegleiterinnen. Und jenen, die bereit sind auch über Zinsen nachzudenken. Oder gar Zinseszinsen.

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RAUCHPAUSE / Teil 02

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(mit oder gegen Ende des Textes vom Band beginnt der Mann zu sprechen)

Ich geh da nicht mehr rein. Rein. Raus. Tür auf. Tür zu. Was das kostet.  Heizung. CO2 ohne Ende. NSRG. Wenn das mal gesund ist. Und außerdem: Die können mich alle mal. Diese Weicheier. Feiglinge. Nachtragendes Scheißpack. „25 Jahre haben wir unter Dir gelitten. Jetzt bist Du dran. Sei ein Mann, klage nicht und friere.“ Oder: „Wieso? Ist doch spannend. Wie früher. Draußen am Lagerfeuer. Nimm es sportlich.“ Nee. Und da drinnen: Die zählen einem jetzt jede einzelne rein. Früher wurde das gar nicht bemerkt. Jetzt: „Oh, mußt Du schon wieder. Jetzt ist grad so nett. Du bist aber ungemütlich.“ Selbst der Hansi: „Jetzt bleib halt mal. Keine Selbstbeherrschung. Solidarität mit der schützenswerten Kreatur heißt das Gebot der Stunde, alter Genosse.“ Und dann blöd kichern. Der Hansi. Früher. Wir zwei. Schon morgens um sechs, aber volle Kanne. Und kein so Weicheierzeugs. Die „rote Hand“ und der „schwarze Krauser“ waren unsere Kampfnamen. Na ja. Und wie das jetzt stinkt da drin. Das hat man ja sonst gar nicht mitgekriegt früher. Jetzt riecht plötzlich jeder anders. Also riecht jetzt überhaupt. Plötzlich fällt dir nicht nur optisch, sondern auch quasi nasal auf: da sind andere Menschen. Ich komm mir plötzlich vor wie ein Hund, der an jeder Ecke die hinterlassenen Kommunikationsangebote seiner Artgenossen riecht. Man sagt ja, wir Raucher hätten durch jahrelangen Mißbrauch unser Riechorgan irreversibel zerstört. Vergiß es. Ich bestehe zurzeit nur noch aus Nase. Überall Düfte, Ausdünstungen. Odeur. Das ist schon gewöhnungsbedürftig. Von rechts kommt was – so Afterwork-Stress-Odeur. Schweiß. Schweiß. Schweiß. Riecht so nach: „Heute hat mein Chef mich wieder fertig gemacht.“ Und von links: „Ich habe mich noch schnell frisch gemacht.“ Duschgel, Marke Waldbeere, Vanilla oder Granatapfel. Ja sitze ich in einer Kneipe oder gehe ich im Botanischen Garten spazieren? Von gegenüber Hustenbonbons mit japanischen Heilpflanzenöl. Olfaktorischer Terror ist das. Und überhaupt: Parfüm. Weshalb Leute sich eigentlich parfümieren? Weil die sich selbst nicht riechen können, also nicht im übertragenen Sinne, sondern buchstäblich. Im Gegensatz zu mir haben die offensichtlich keine Nase.

In Kanada gibt es jetzt eine Bürgerinitiative gegen Parfüm. Jawohl, in Ministerien und Institutionen darf keiner mehr Parfüm tragen. Offiziell wegen Asthma und Allergien. Das stimmt. Sollte man hier zu Lande auch mal drüber nachdenken, anstatt uns zu Outcasts zu stempeln. Vor kurzem, gestern, war ich essen. Ich sitz beim Italiener, richtig gut und teuer und da kam so eine Frau rein mit so einem scharfen japanischen Duftwasser auf der Haut. Ich weiß jetzt nicht, ob ich in zehn Jahren Nasenkrebs krieg davon, aber kotzen hätte ich können. Ich bin raus. Sofort. Ich zahl doch nicht mehr als 20 € für was wirklich Gutes und schmeck nichts mehr, weil ich nicht mehr atmen kann. Das war schlimmer als eine zwanzig Zentimeter lange Cohiba. Ich bin raus an die „Frische Luft.“

Mein Vater, Kriegsteilnehmer. Der ist nur raus, wenn er unbedingt mußte. Er sagte immer: „Ist noch keiner erstunken, aber schon viele erfroren.“ Die frische Luft, das ist ja jetzt das Ding. Plötzlich überall frische Luft. Endlich wieder. Freie fromme und fröhliche frische Luft. Soviel kann ich gar nicht einatmen.

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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)

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Der rechts überholende Radfahrer / Vom Zustand der untergehenden Res publica / Fangen wir an zu rauchen 01

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Stadttheater Gießen / Hinterausgang / Sommer 2008

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In letzter Zeit bin ich nicht wöchentlich, aber eigentlich täglich mit einem neuen Phänomen konfrontiert. Nennen wir es: der rechts überholende Radfahrer. Kann sich da aber auch – oft sogar -um einen weiblichen Menschen handeln. Jedenfalls fürchten die diversen Radbeweger wohl, daß, überholen sie gemäß StVO den vor Ihnen Herfahrenden linkerhand, von linkerhand ihrerseits ein böses Auto ihnen zu nahekommen könnte. Und da die Gefahrenabwägung immer beim Ego landet, rauschen sie dann – klingeln ist verpönt, weil aggressiv oder so – rechts an Dir vorbei. Dämlich.

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Ich habe die unselige – oder selige? – Angewohnheit aus grassierenden Alltagsgewohnheiten gesamtgesellschaftliche Schlüsse zu … ähem … behaupten. Was ich sagen will? Sich nicht selbst den Gefahren aussetzen wollen, die Verantwortung weiterreichen und wenn der Depp sich erschrickt, den ich rechts überholte, obwohl von links her der Laster erst morgen eventuell an mir vorbeigefahren wäre, dann: selber schuld Du Dino.

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Dachte heute, ob ich vielleicht wieder anfangen sollte zu rauchen. Blöde Idee natürlich. Warum auch? Nun: die rechts überholenden Radfahrer haben mich auf die Idee gebracht. Die Risiken namens Leben mal wieder selbst übernehmen. Links überholen. Der LKW ist nicht schuld. Mama nicht. Papa nicht. Noch nicht mal Du selbst. So ein paar unschuldige Regeln sind nicht gleich Guantanamo. Wenn ich mir auf den Finger haue, ist der Hammer nicht schuld. Und schon gar nicht der Nagel. Verklage halt den Baumarkt.

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Habe vor Ewigkeiten mal ein Theatersolo zu diesem Thema geschrieben. „Rauchpause oder der Sieg der langen Unterhose“ nannte ich es. Werde das jetzt hier in lesbaren Portionen servieren. Weil es mir gefällt. Und weil ich zu faul bin was Neues zu schreiben. Und wenn Sie demnächst ein Fahrradfahrer von rechts überholen sollte: ich war es ganz gewiß nicht.

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RAUCHPAUSE / Teil 01

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(Wir befinden uns im Hinterhof einer Kneipe. Nach Einführung des NRSG. Ein Mann tritt auf. Er hat viel an, sehr viel. Stellt sich an einen Rauchertisch, der wiederum in einem gelben Quadrat steht. Wartet. Raucht. Während er die erste Zigarette konsumiert läuft vom Band – mit der Stimme des Schauspielers – folgender Text:)

Ich saß am Ufer eines Baggersees, ein milder Spätsommertag neigte sich dem Ende zu. Auf dem Wasser zog ein Schwanenpärchen seine Bahnen, die sinkende Sonne färbte den Himmel ein und Flugzeuge malten weiße Kreuze ins Firmament. Ich lehnte zusammen mit meinem Fahrrad an einem Baum und zündete mir eine an, als mich schlagartig das körperlich spürbare Gefühl überfiel, beobachtet zu werden. Ich drehte mich um und sah wie ein kleines Männlein im Rollstuhl mit hektischen Ruderbewegungen im nächsten Gebüsch verschwand. Sobald ich wieder nach vorne schaute und an meinem Stäbchen zog, kam er wieder aus dem Gebüsch gefahren und fummelte hektisch an einem überdimensionalen Handy rum, dem grässlich laute Piepstöne entwichen. Die Schwäne auf dem See begannen plötzlich aufeinander einzuhacken, sich gegenseitig zu verletzen und sie bluteten gelbes Blut. Damit malten sie kleine Vierecke auf das Wasser des Sees. „Zugriff!“, schrie auf einmal das Männlein in sein Mobiltelefon und am Himmel erschienen sieben ferngesteuerte Helikopter, die – als sei dies ein monströses Hütchenspiel – begannen gigantische Plexiglaskegel vom Himmel zu werfen, offensichtlich in der Absicht, mich damit einzufangen. Ich versuchte zu fliehen, doch als ich mein Fahrrad besteigen wollte, um wegzufahren, schrie dieses mich an. „Sünder! Pestbeule! Oraler Knecht.“ Dann bewarf es mich mit überfüllten Aschenbechern und fuhr wiehernd davon. Ich blickte nach oben und sah nun wie einer dieser Plastikkegel ganz langsam auf mich zu schwebte. Er rotierte dabei leise um die eigene Achse, von einem Summgeräusch begleitet, das wie der Gesang asiatischer Mönche klang. Angewurzelt blieb ich stehen, ich hörte das Blut in meinem Schädel pochen und wie der Deckel einer Senftube schraubte sich der Kegel über mich und in die Erde. Gefangen. Schlagartig spürte ich, wie mir die Luft wegblieb und ich begann zu schwitzen. Verzweifelt strampelnd versuchte ich meine drei langen Unterhosen abzustreifen, die aber jedes Mal, wenn ich sie bis zu den Knöcheln runtergezogen hatte, sich wieder aufrollten und mit der Stimme meiner Mutter zu mir sprachen: „Ich verstehe Dich einfach nicht. Warum setzt Du Dich immer solchen Situationen aus?“ Ich versuchte zu argumentieren, ich hätte ja wohl nicht mit den Helikoptern angefangen, als das Männlein begann wie wild von außen gegen das Plexiglas zu treten und zu spucken. Dabei drückte es grinsend auf den roten Knopf einer gigantischen Klingel, die an seinen Rollstuhl befestigt war. Der Himmel hing voller Teebeutel, zwischen denen die sieben Helikopter so etwas wie Fangen spielten. Die Schwäne schwammen nicht mehr, sondern steppten jetzt übers Wasser und mein Fahrrad – inzwischen zum Rappen mutiert – hatte eine kalte Cohiba im Maul und wieherte dabei lustig vor sich hin. Ich erwachte.

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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)

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Unter der Leichendecke der Buchstaben weiteratmen / E viva Remontada

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Manchmal sind mir die Worte alle zuviel. Die ganzen Worte, die ich täglich inhaliere. Oder auskotze. Im Park liegen lasse. Einer Liebsten unter die Matratze schiebe. Einem Nervtöter auf die Stirn küsse. Diese Buchstaben, die Tag und Nacht auf mich einprügeln und die ich mit beidhändiger Rückhand übers Netz in die andere Spielhälfte der Welt „dengele“, eine Stille nicht ertragen könnend. Wie ein Kind vor mich her plappernd. Wie ein seniler Tourettist geräuschvoll ausatmend alle scheinwichtigen Gedanken.

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Las gestern ein sehr schönes Interview mit Armin Müller – Stahl. Er sprach davon – er pendelt zwischen der Ostsee und den Vereinigten Staaten und so falle ihm so etwas eher auf – wie sich seine Sprache, die nun mal die deutsche ist, ständig verändert, neue seltsame Worte in Mode kommen, plötzlich aufgeladen mit Bedeutung und daß dies manchmal Schmerzen bereiten könne. „Nachvollziehen“ zum Beispiel nennt er. Das Wort sei doch scheußlich. Schön. Kann ich wiederum nachvollziehen.

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„Wörter bleiben stumm und friedlich / obschon ihr Inhalt weggeflogen / Schlagen um jedoch wie Wetter / werden bös, gemein, brutal, verlogen. / Kommen aus dem Hinterhalt / schleichen, loben, lügen, richten. / Doch was sie in Wahrheit wollen, ist dich und deine Kunst vernichten.“

(A. Müller -Stahl)

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Gestern hat Toni Kroos ein Interview abgebrochen. Schön zu sehen, wie er die Hände vor sein Gesicht hält, (ge)sichtlich unter den Worten des slomkaesk gescheiten ZDF – Reporters leidend. Weil der Frager nicht kapierte, wie wichtig die „Remontada“ ist. Das Zurückkommen. Nicht die herbei phantasierte Überlegenheit kann sein Dein Ziel. Ich mochte den Trainer der alten und weniger offensiv frisierten Männer aus Spanien, der ohne Zähnefletschen und berufsjugendlicher Kappe seine Kicker gelassen ins Ziel coachte. Und sehr viel weniger Worte benutzte. Danach dann sogar.

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Manchmal düngen die Worte den Acker, oft lassen sie alles was dort wuchs oder noch wachsen wollte, verdorren. Jedoch: Wird Schweigen jemals mein Gemüse sein? Gehe jetzt mal im Gedankenschrank nachschauen.

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Armin Müller – Stahl hat im Alter den Worten abgeschworen. Er malt. Nachdenkenswert. Denke an einen alten Regisseur von mir, der es ähnlich entschied. Geh zurück in Dein Buch. Lies es und vernähe Deine Lippen.

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Postschreibum und Nachklapp vom 30. Mai 20Zwei:

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Habe eben im Hinterhof ein paar junge Pflänzlein, die meiner Ehefrau am Herzen liegen, gewässert. Das Wochenende war zwar ordentlich kühl – Was erlaube Wetter? – nach eher durchgeknallt warmen Eisheiligen – Was erlaube Wetter revisited? – aber Wasser brauchen die Kleinen trotzdem. Fährt auf den Nachbarhof unseres Hinterhofs ein eine Nachbarin. Gesprächsthema 1 natürlich das Wetter. Also wie kalt das wieder sei. Und daß man trotzdem gießen müsse. In Gießen. Sie wäre heute morgen in die Praxis gekommen und man hätte die Heizung andrehen müssen. Ich ja auch am Schreibtisch, erwidere ich und sowieso den Dings friert es ja im dicksten Winterrock. Sagte ich dann auch noch. Gießend in Gießen. Aber jetzt ist morgen oder übermorgen Juni und ich heize noch. War ihre Antwort. Sagte ich dann unbedarft: Solange die Russen uns noch Gas liefern, geht das doch alles noch. Die Nachbarin schaut mich an als sei ich Gerharda Putin oder Wladimir Merkel in Personalunion, dreht sich auf dem Absatz um und iss weg. Vielleicht ist es das, was Toni Kroos in Sachen Deutschland meinte in diesem „Feldgespräch“.

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Postscriptum due: Las ich heute. Die Mikrofonhalter nennen dieses After – Work – Stalking wirklich Field – Interview. Nachgespräche auf den Schlachtfeldern? „Sagen Sie mal, hatten Sie den Gegner gleich im Visier? Oder hatten Sie erwartet, daß die Lieferung der schweren Abwehrwaffen schon stattgefunden hatte?“ „Ich bin eigentlich nur froh, überlebt zu haben!“ „Haben Sie da kein schlechtes Gewissen? Der Gegner hatte doch die besseren Haubitzen!“ Freue mich schon wieder auf das Tagesheute. Selbstredend gegeben highgeheelt und in nachhaltigen Designerklamotten. Und nun zum Sport.

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Von den alten Telefonaten einer Stille

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Konstanz / Verteilerbuchse über der Unteren Sonne hinter der Hinteren Sonne / 11. März 2022

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So. Mit drei Ausrufezeichen. Das letzte Ruinenphoto aus Konstanz. Das ist eine alte Verteilerdose. Über Drähte miteinander schwätze! Wosch noh? Man mag kaum glauben, daß diese Drähte damals Gespräche hin und her ruckeln ließen. Von rotierender Scheibe zu rotierender Scheibe. Stand man in der Telefonzelle, galt es zu beachten stets genug Zehnerle dabei zu haben und sich trotzdem kurz zu fassen. Wartende – vor allem nächtens und promillt – konnten recht wütend werden. „Wenn Du Seggl etz it gleich do raus kommscht, no loß i di dä Telefonhörer fresse! Kapiert?“ Wenn man selbst vor der Telefonzelle stand, weil die neue Freundin nicht so auf Blitzbesuche stand, sondern (Die hatte schon ein Telefon … ähem … also ihre Eltern!) darauf bestand „kurz mal anzuklingeln“, war es wichtig die eigenen Aggressionen im Zaum zu halten. Indische Heilkräuter konnten zur Gelassenheit beitragen. Eventuell. Was nicht heißt, daß man nicht selbst auch mal beherzt gegen die Scheibe trat. Nicht immer wissend, was daraus folgen mag. Ging meistens gut aus. Früher endeten Auseinandersetzungen, selbst nach blauem Auge, nicht gleich auf der Polizeiwache. Eher am Tresen.

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Zwischenbemerkung: Man soll als AGM (bianco) doch nicht die alten Zeiten beschwören und dann auch noch die Errungenschaften der digitalen Kommunikation ausnutzend. Gelle! Ich weiß. Aber als AGM (white) habe ich heute zur morgendlichen Weinprobe (Vorsicht! Satire!) gerne und erfreut folgendes von Herrn Martenstein gelesen. Hier mal zum HÖREN.

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Zurück in die Telefonzelle. Also wenn man war drinnen. In der Telefonzelle. Das andere war noch nicht möglich. Dann hat es halt manchmal gedauert. Und die korrekten Geständnisse, obwohl es die noch nicht so gab in Sachen Korrektheit des Empfindens, mußte man ja auch noch lernen.

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„Hallo? Bist Du noch da?“

„Ja!“

„Leg bitte nicht auf!“

„Ok!“

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Das minutenlange mit – Seufzern / Zwischenrufen / „Ja, Mama, ich komm gleich!“ / Heulrotz hochziehen / Feuerzeugklicken und dann hektisches Inhalieren / im Hintergrund LC’s „Hey! That’s no way to say good bye“ – garnierte Schweigen wurde abrupt beendet von einem lauten Schlag gegen die Scheibe der Zelle. „Wenn Du Seggl etz it gleich do raus kommscht aus derre Zelle, no loß i di dä Telefonhörer fresse! Kapiert? Und mach Dein geischtige Hosestall zu. `S zieht! Brauchsch ä Tempo? Heulsuse!“

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Manchmal ist man dann halt doch einfach bei ihr vorbeigegangen. Wenn man keine Zehnerle mehr hatte. Oder Herzensnot. Hat geklingelt. Geklopft. Steinchen gegen das Fenster geschmissen. Im Guten wie im Bösen. Fiel damals noch nicht unter Stalken. Und dann schlich man wieder heim. Mit oder ohne blauem Auge. Gelegentlich mit rosaroter Brille. Roten Ohren eigentlich immer. Ich muß aufhören mich zu erinnern an das, was ich eigentlich vergessen hatte, aber mein Kopftelefon klingelt eben:

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