Werden müssen, was man flieht – ist es unabwendbar? (Franz Fühmann)

…..

…..

Der Wahrheit nachsinnen; viel Schmerz (Zitat Georg Trakl)

Ich hatte gedacht unsere Verbindung enger sei sie.

So eng, daß wir in der Lage wären Sieg und Niederlage zu teilen.

Mit diesen Gedanken erwachte ich.

Mir träumte ich läge im Meer,

warm. Das Meer zog sich langsam

zurück. Ebbe und legte

frei gigantische Felsformationen. Scharfkantig,

bewohnt von giftigen Seeigeln.

Noch vor Stunden schwammen und

Tollten wir arglos über diesen

Abgründen. Ich griff nach einem Buch,

um wieder in den Schlaf zu finden,

zu einer Zeit, in der sie

wahrscheinlich erst zu Bett geht.

Ich las von der Versuchung

Bei halben Wahrheiten stehenzubleiben,

daß wir meist jene mißbrauchen,

die uns am meisten lieben,

vom Verlangen sich stets einen

schmalen Ausschlupf offenzuhalten,

um nicht vor der Scham eines Geständnisses

zu kapitulieren, seine „kleinen

ergötzlichen Lügen“ zu hätscheln

und um jeglicher Pein einer

Konsequenz zu entgehen sich den

„angenehmen Irrtum“ zu erlauben,

Kurzum den Qualen und Zumutungen

Einer kompletteren Wahrheit auszuweichen.

Ohnmacht klumpte sich zusammen in mir.

Der Schlaf rannte davon mit wedeldem Arm‘.

Ich versuchte ihm zu folgen in sinnloser Raserei,

sprang auf, eilte ins Bad und bohrte meine

Faust in den Spiegel.

Splitter für Splitter zog ich aus

Meiner blutenden Hand das

Reine Lamm, welches sie war in mir.

Ein Geschirrtuch befleckt mit geronnen Blut

umwickelt meine Erinnerung

und mit zufallenden Lidern

lege ich mich in die dahinschmelzende

Wahrheit Schnee.

„Wir tun uns selber und einander weh.

Aber wir sollten es dann wenigstens ehrlich meinen!“,

rief mir das Buch noch hinterher.

Ich wolle es versuchen, antwortete ich noch.

Aus der Nacht kein Echo.

Wie eine Drohne blickte ich hinab auf das Gewusel Welt

Und es schauderte mich vor der

Kalten, eisklaren, nüchternen

Objektivität, diesem brüllenden Ausdruck

Einer Hoffnungslosigkeit

Dann machte ich mich auf den Weg.

Wohin weiß ich nicht.

Oder nicht mehr.

Vielleicht noch nicht.

Ich lief in die untergehende Sonne.

Ich würde mich erst wieder umdrehen,

wenn ich mir vergeben konnte.

Dann wurde aus dem Westen der Osten

Und ich lief auf sie zu.

Langsam, sehr langsam.

Hinein in ihr Schweigen.

(gießen / im januar 2022)

*

„Und das es so gewöhnlich ist, daß man es nur bemerkt, wenn es einen selber trifft, doch dann mitten ins Herz.“ (Franz Fühmann)

…..

Eine Sprache der Liebe suchend

…..

…..

eine sprache der liebe

ausufernd

sich selbst genug

eine sprache der liebe fordernd

den eigenen atem abschnürend

eine sprache der liebe

die alles auf eine zahl setzt

die die freiheit fordert

aufzugeben alles

für ein bloßes versprechen

*

hilflos sitzen wir

vor dem eigenen verstummen

den stammelversuchen zu erklären

diese sprache

greifen in die regale und halten

in den händen ratgeber wohlfeile

stellvertretersprache

*

In fremden räumen

die ich mein eigen nannte

saß ich

füllte die luft

mit meinem verlangen

das ich hatte gesammelt

in jener fremde

die ich niemals wieder fand

tanzend um die eigene achse

derwisch

*

papierschiffchen gefaltet

die lippen gespitzt

der föhn fällt knarzend auf den see

die haare kräuseln sich

gegen die wellen

ein zärtliches fingerschnipsen

da lang

hinaus dein kurs

noch winke ich ihm nach

dem schiffchen wohlgesinnt

dann verschwindet es

hinter der erdkrümmung

in den gelben seiten blättere ich

bestattungsunternehmen

liebestod

flache steine flitschen über das wasser

*

(gießen / im januar 2022 / nachts )

…..

Ein Teil der Heimkehr

…..

…..

Der pirat ging an land

Fluchend schmiß er sein glasauge

An die wand

Spuckte in sein glas rum

Schnallte sein holzbein ab

Spaltete es mit seinem krummsäbel

Entfachte damit ein herdfeuer

Und kochte im kupferkessel

Offene flamme

Seine alten hoffnungen aus

Verschlang die brühe

Und pisste sie am nächsten morgen

In die schäumende see

Das meer würde er fortan meiden

Das war ihm klar

(gießen / 10. Jan. 2022 / quantum)

…..

„Ich glaube, daß wir alle ein Ich haben, einen Charakter, an dem wir nichts ändern können (außer Lügen darüber zu verbreiten)“

…..

…..

Ich schrieb unten schon von Rückkehr. Die Rückkehr von einer Reise in eine Gegend, von deren Existenz man nichts mehr ahnte, man diese Ländereien auch nie mehr betreten wollte. Die Reise war eine schmerzhafte, aber sie hinterließ einiges an Worten.

*

für oder über / wer weiß das schon

gib mir meine kugeln zurück

sie haben dich zu boden gestreckt

gib mir meine kugeln zurück

ich will es nicht gewesen sein

ich weise die schuld von mir

gib mir meine kugeln zurück

der lauf ist noch warm

aus dem ich schoß

der lauf der auf dich gerichtet

war

gib mir meine kugeln zurück

da ich zu feige bin gegen mich

zu richten

das gewehr

gib mir meine kugeln zurück

und du wirst aufstehen und

grinsend an mir vorbei

schreiten

in jenes vergangene leben

welches uns entglitt

gib mir meine kugeln zurück

gott spielen wollte ich nicht

wenn dann gott sein

gib mir meine kugeln zurück

und ich werde mein gewehr

niederlegen dort an der biegung

des flußes wo ich mein herz

vergrub vor langer zeit

die erde darüber bepflanzen

mit rankendem gestrüpp

duftend

von bienenschwärmen umsummt

gib mir meine kugeln zurück

und ich sterbe an deiner statt

(Im ICE nach HH am 28.12.21)

*

Als ich dies schrieb im Speisewagen, viel zu frühen Wein trinkend, schien draußen, irgendwo zwischen Göttingen und Hannover, die Sonne und es regnete gleichzeitig. Las heute morgen bei Richard Ford in seinem vor allem für ältere Herren sehr empfehlenswerten Buch „Frank“, daß ein solches Wetter bedeutete, daß der Teufel gerade seine Frau schlage. Soweit ich mich erinnere, gab es keinen das Unheil auflösenden Regenbogen. Die Überschrift ist ebenso ein Zitat aus jenem Buch, welches ich, wieder zu Hause, mit Erkenntnisfreude lese.

…..

Vom Lachen des windlosen Drachens oder dem Ruhen ohne die Bedeutung

…..

…..

Drachen können selten lachen

Müssen’s halt die and’ren machen

Wenn Professor Ohnewind

Keine Luft unter den Schwingen

Will weiter seine Lieder singen

Weil die doch so wichtig sind

Wie er meint und weiter greint

Doch noch ist er warm der Sand

Es murmelt leise an den Strand

Die See mal schwer und grau

An manchen Tagen dennoch blau

So bleibe liegen

Von den Siegen

Nicht mehr träume

Sondern räume

Ein das Ende des Bedeutens

Die Tage werden schneller kurz

Nicht mehr die Zeit des Häutens

Man lebt als Flatulenz

So erspart man sich den schlechten Reim

Auf den eig’nen Gang hinab

Gräber leicht zu finden

Doch oben in den Winden

Sie segelt noch

Die Schnur

An der wir hingen stets und

Niemals abgenabelt

Blast, Bälger, blast

Die Nüstern bläht

Bald ist’s zu spät

Drum lache

Drache

…..

Die geheimen Sehnsuchten der Giraffen teilen gelegentlich sogar die Affen

…..

…..

Es wären die Giraffen

Mal gerne einfach Affen

Statt mit den langen Hälsen

Die gern Probleme wälzen

Und glauben zu verstehen

Was sie von oben sehen

Der Affe aber tobend

Und stets sich selber lobend

Jagend durch die Wipfel

Das ist doch der Gipfel

Giraffe sich empört

Was sie letztlich stört

Sie muß will sie was trinken

Zwischen ihre Schenkel sinken

Mit dem Kopf

Armer Tropf

Doch auch ein Affe

Wäre gern Giraffe

Man glaubt es kaum

Wär‘ er doch so sein eig’ner Baum

…..  

Von der Zweisamkeit eines Elefanten

…..

…..

Die Einsamkeit des Elefanten

Nicht mal seine Mütter kannten

Später dann die Väter

*

In einer allzu sehr gefüllten Schüssel

Rieb freudig nachts er mal den Rüssel

Vergaß so was er aß

*

Es wedelten seine großen Ohren

Die Orientierung ward verloren

Im Krater der schreckliche Kater

*

Des Elefanten Einsamkeit

Währt schon eine Ewigkeit

Die Lenden aber enden

*

Man sah den Elefanten steppen

Mitten in den kargen Steppen

Doch nah dem Wasserloch

Das trocken ward gefallen

Trotz allem

*

(Wiesbaden / 1999)

…..

Sheep shiting hitting neighbors plate

…..

…..

Der Magen eines Schafes

Könnt nicht länger tragen

Was verzehrt ward voller Gier

Drum öffnet er die Tür

Und alle Schleusen auch

Entleert froh rülpsend sich

Am Nebentisch ein Nachbartier

Getrieben von derselben Gier

Auf seinem Teller Kötelmassen

Doch man frisst weiter

Kann’s nicht lassen

Es wetzt der Schäfer gar nicht nett

Am Stein das Messer

Lammkotlett

Auch dies das Schaf

Man glaubt es nicht

Anficht in keiner Weis‘

Wird schon werden blöken alle

Leise vor sich hin so brav

Was ich nicht weiß

Erhitzet nicht ’s Gemüt

So weit, oh meine Güt‘

…..